„Rocketman“: Sex, Drugs und Sonnenbrillen

Ab 30. Mai wird es ziemlich laut in den Kinos: Taron Egerton entführt im Musical-Biopic „Rocketman“ in die fabulöse, spektakuläre und ekstatische Welt von Sir Elton John.

Wenn man jemanden wie Sir Elton John (72) spielen darf, der jahrzehntelang mit dem Tod seiltanzte und zeitgleich eine der grössten Hitmaschinen der Pop-Industrie ist, wiegt die Bürde schwer – schliesslich war der Mann mit den Sonnenbrillen gefühlt schon immer da. Seit Jahrzehnten berührt der britische Entertainer die Menschen durch seine Musik bis ins Mark. „Kingsman“-Aufsteiger Taron Egerton (29) wagt ab 30. Mai in „Rocketman“ den Versuch, einen entscheidenden Lebensabschnitt der epischen Pop-Ikone auf die Leinwand zu bringen – und liefert die Performance seines Lebens ab.

Von Reginald Dwight zu Elton John

Wie ein mystischer Phönix marschiert Elton John (Taron Egerton) in einem riesigen orangen Feder-Teufelskostüm und mit strassbesetzten Hörnern durch einen Gang. Dazu triumphale Klänge. Was zunächst aussieht wie der erste Auftritt des Exzentrikers, entpuppt sich rasch als ein Gang Richtung Selbsthilfegruppe. Von dort aus berichtet die Pop-Ikone rückblickend von seiner verpfuschten Kindheit, unterjocht von seinem lieblosen Vater (Steven Mackintosh), über seinen Durchbruch mit Gefährte Bernie Taupin (Jamie Bell) bis hin zu der endgültigen Legende Elton John.

„Mein Name ist Elton Hercules John und ich bin Alkoholiker, kokainabhängig, sexsüchtig, habe Bulimie und einen Shoppingzwang.“ In den 70ern liefert Elton John zwar einen Megaseller nach dem anderen, doch durch den permanenten Druck und den dauerhaften Drogenkonsum reihen sich auch seine Abstürze immer rasanter aneinander. Der Grund für dieses Karussell: Der Wunsch, von seiner Familie und von seinem ersten Liebhaber und Manager John Reid (Richard Madden) und eigentlich allen so geliebt zu werden, wie er nun einmal ist: Als der etwas dickliche Brillenträger, der es liebt, die Menschen mit seinen Liedern zu berühren.

Eine musikalische Zeitreise

Kaum hat man sich auf die überraschenden Szenerien eingelassen, reihen sich die grössten Evergreens Elton Johns in klassischer Musical-Dramaturgie wie eine Art musikalische Perlenkette aneinander. „I Want Love“ wird dabei zum verzweifelten Schrei nach Liebe innerhalb der Familie von damals noch Reginald Dwight, wie Elton Johns Geburtsname lautet. Die Instrumental-Version von „Your Song“ zuhause auf dem Klavier im Beisein von Bernie Taupin markiert den Beginn der Hitmaschinerie des Duo Infernale und nach unendlich viel Drama, enttäuschter Liebe, Drogenmissbrauch und einem Selbstmordversuch erklingt am Ende wie eine trotzige Auferstehung eben jenes Kämpfers das epochale „I’m Still Standing“.

Hält „Rocketman“ dem Queen-Vergleich stand?

Eine Pop-Ikone, die von England aus die Welt erobert, ein zerbrechlicher Exzentriker, der ein Abo auf Klinikbesuche innehat, ein Coming-out und Songs, die die Welt bis heute bewegen: Der Vergleich zu „Bohemian Rhapsody“ und seiner Hauptfigur Freddie Mercury (1946-1991) drängt sich geradezu auf. Sogar der Regisseur ist gleich: Dexter Fletcher (53, „Eddie the Eagle“) war bei „Bohemian Rhapsody“ eingesprungen, nachdem Bryan Singer (53, „X-Men“) das Set verlassen musste. Der grosse Unterschied ist sowohl Glück für Elton John als auch ein kleiner Fluch für den Film: Elton John war – zusammen mit seinem Mann David Furnish (56) – als Produzent beteiligt.

Das Problem, dass dadurch entsteht, ist, dass Elton John zwar aus erster Hand berichtet, „Rocketman“ jedoch zu der eingangs erwähnten Therapiesitzung durch eine etwas verklärte Sonnenbrille daherkommt. In der Schlussszene erteilt sich der von seinen Dämonen kurierte John in einer Art Fantasiesequenz umringt von den Personen seines Lebens sogar eine finale Aussöhnung. Mit von der Partie ist sogar der noch kindliche Reginald Dwight, den der von Drogen gebeutelte Elton John liebevoll umarmt und so Frieden mit ihm – und sich selbst – schliesst. Das mag für manche Zuschauer zu übertrieben und exaltiert wirken, passt aber ins Gesamtbild.

Ehrlicher Umgang mit den Dämonen

Ganz fabelhaft funktioniert dagegen der entspannte Umgang mit seiner doch recht holprigen Biografie. Wo „Bohemian Rhapsody“ immensen Drogenkonsum und sexuelle Begegnungen Freddy Mercurys noch arg weichspülte, lässt Elton John in „Rocketman“ ziemlich tief blicken und wickelt die Zuschauer so um den Finger. Er scheut sich nicht, alle Exzesse in seiner rohen Brutalität zu zeigen und auch die Heirat und die nach einigen Jahren darauffolgende Scheidung mit der Münchnerin Renate Blauel (66) sowie die verzwickte Liaison zu Manager John Reid werden gut erzählt. Zu den stärksten Szenen gehört der jahrzehntelange Bund mit dem Autor Bernie Taupin. Der frühere „Billy Elliot“-Darsteller Jamie Bell (33) beweist einmal mehr sein Talent und ihr Duett von „Goodbye Yellow Brick Road“ zählt mit zu den besten Szenen von „Rocketman“.

Eindringlicher Hauptdarsteller

Ohne seinen immens starken Hauptdarsteller Taron Egerton würde der Film wie andere Versuche eines Biopics vergessen im Regal verstauben – man denke beispielsweise an Ashton Kutcher (41) in „Jobs“ (2013). Egerton selbst sagte im Vorfeld von „Rocketman“ in einem Featurette zum Film: „Wenn man jemanden spielen will, der die Menschen so berührt wie Elton John, dann kann man eigentlich nur versuchen, sein Leben und seine Musik so aufrichtig zu interpretieren, wie es geht.“

Der Brite singt alle Songs im Film selbst und schafft es dabei, Evergreens wie „Crocodile Rock“ und „Your Song“ einen frischen Wind einzuhauchen. Wie gut Egerton das inklusive vieler modischer Entgleisungen und queeren Charakterzügen gelingt, ist schlicht beeindruckend. Dabei ist „Rocketman“ kein klassisches Biopic, sondern ein quietschbuntes, verkitschtes, überquellendes Biographie-Musical mit einer Mischung aus „La La Land“, „Der Junge muss an die frische Luft“ und „Mamma Mia!“. Ähnlich wie bei Freddie-Mercury-Darsteller Rami Malek (38, „Mr. Robot“) dürfte „Rocketman“ Taron Egerton in die Oberliga Hollywoods katapultieren.

Fazit

„Rocketman“ feiert die homosexuelle, glitzernde, pompöse und niemals leise Pop-Ikone Sir Elton John. Dabei setzt der Film mit extravaganten Bühnenoutfits, einem charismatischen Hauptdarsteller und gänzlich „over the top“ agierenden Musical-Szenen auf enorm viel Spass. Ankreiden kann man dem Film, dass man trotz dieser ganzen Therapien und Memoiren doch recht wenig über den Menschen Elton John erspäht. Doch vielleicht muss das so sein: Eine Legende wie Sir Elton John legt seine Sonnenbrille schliesslich nie ab.

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