Die verlorenen Söhne Mannheims

Es heisst, es gäbe keine schlechte Publicity. Der Erfolg des neuen Albums der Söhne Mannheims scheint dies zu bestätigen. Trotz, oder gerade wegen des umstrittenen Lieds „Marionetten“?

„Sie sieht mich einfach nicht“, hauchte 2008 Xavier Naidoo (45) so herrlich melancholisch. Noch im selben Jahr erschien „Ich kenne nichts (das so schön ist wie du)“. Naidoo schien als einziger deutschsprachiger Künstler die Gabe geschenkt bekommen zu haben, kitschige Texte in nicht kitschige Musik zu verwandeln. Lieder, so universell schön, dass sie auch so mancher Macho nicht wegdrückte, als sie auf Viva oder MTV liefen. Doch das Jahr 2008 ist lange her. Naidoo hat inzwischen die Politik als Inspirationsquelle für sich entdeckt, und mit ihm seine restlichen Musik-Geschwister Mannheims. Oder jedenfalls das, was sie dafür halten.

Gegen das System

Um romantisch Feuerzeuge in die Luft zu recken, dafür boten sich ihre Songs zuletzt immer seltener an. Wohl auch, weil die Söhne Mannheims die Leute darin lieber dazu anhielten, Mistgabeln und Forken hochzuhalten. Sie der lügenden Obrigkeit entgegenzustrecken, deren Marionetten wir alle sind – folgerichtig auch der Titel des umstrittenen Songs, „Marionetten“.

Der Bürgermeister Mannheims, einst sicherlich stolz auf seine berühmten Söhne, hat sich inzwischen von den Musikern distanziert. Peter Kurz (SPD) kritisierte die augenscheinlich „antistaatlichen Texte“ der Band, ein Treffen mit ihnen ist bereits geplant. Dieses sei „aufgrund ihrer Identifikation mit Mannheim und auch weil sie die von der Stadt Mannheim vertretenen Werte der Toleranz, Offenheit und Demokratie teilen, wichtig“, hiess es von Bandseite weiter. Ein Treffen also mit einem Mitglied der „Volks-in-die-Fresse-Treter“, einem „Hoch-“ beziehungsweise „Volksverräter“, wie es im fragwürdigen Song heisst. Ob dieses Treffen Früchte tragen kann? Es darf bezweifelt werden.

Ein Aufruf zum Dialog?

Sänger Henning Wehland (45) versuchte bereits in einem Interview, die hohen Wogen zu glätten. Das Lied sei in keinem Fall ein Aufruf zur Gewalt, beteuerte er. Es sei ein „Aufruf zum Dialog“, nur mit drastischen Worten. Dem entgegen steht der tatsächliche Text des Liedes: „Wenn ich so ein’n in die Finger bekomme, dann reiss‘ ich ihn in Fetzen. / Und da hilft auch kein Verstecken hinter Paragrafen und Gesetzen.“ Eine musikalische Erlaubnis zur Selbstjustiz? Dass dies nicht zwangsläufig die Intension der Band war, kann man glauben. Dass sie von rechtsradikalen Menschen als eben jene interpretiert wird, aber auch.

Nicht der erste Fall

In seinem selbsternannten Bestreben, die Unzulänglichkeiten der Regierung anzuprangern, droht Naidoo, sich von gefährlichen rechten Strömungen mitreissen, instrumentalisieren zu lassen. Da kann sich der Musiker noch so sehr „in aller Deutlichkeit und Vehemenz“ von der Reichsbürgerbewegung distanzieren. Ihr prominentes Aushängeschild scheint er seit seinem denkwürdigen Auftritt vor ihnen zu bleiben. Ob er das nun will, oder nicht. Er und die Band sagen im Song doch schliesslich nur die Wahrheit und würden nun von „denen da oben“ abgestraft.

Seine wiederentdeckte „Das-wird-man-doch-wohl-sagen-dürfen“-Attitüde, gerade im Zuge wachsender Fremdenfeindlichkeit im Land, arbeitet dem jedenfalls nicht entgegen. Und sorgte seiner Zeit dafür, dass er als deutscher Kandidat für den ESC wieder ausgeladen wurde.

„Je mehr ich mich ihr nähere, desto ungeschickter bin ich.“ Auch das ist eine Zeile von Naidoos Ballade „Sie sieht mich nicht“. Aus heutiger Sicht könnte er auch die Politik gemeint haben.

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