FHEELS-Sänger Felix Brückner meistert Leben als Rocker im Rollstuhl

Die Band FHEELS um Sänger Felix Brückner (vorne) bringt ihr erstes Album auf den Markt.

Quelle: Sophie Schwarzenberger

FHEELS sind als Rockband wohl ziemlich einzigartig – denn Sänger Felix Brückner sitzt im Rollstuhl. Im Interview erklärt er, was auf deutschen Bühnen in Bezug auf Barrierefreiheit noch getan werden muss. Ausserdem spricht er über das vermeintliche Tabuthema Sexualität und Behinderung.

Bei der Barrierefreiheit auf deutschen Bühnen herrscht Nachholbedarf. Dies prangert Felix Brückner, der Sänger der Hamburger Rockband FHEELS, an. Und er muss es wissen: Der Musiker sitzt seit einem Unfall im Teenageralter im Rollstuhl. Er werde „auf 95 Prozent der Bühnen getragen“, erzählt Brückner im Interview mit spot on news. Der Sänger spricht ganz offen über sein Leben im Rollstuhl, auch über das vermeintliche Tabuthema Sexualität und Behinderung. Dennoch sei es ein „jahrelanger Prozess“ gewesen, seine Behinderung zu akzeptieren – „und ist es manchmal noch immer“. Die Band FHEELS, die am 1. April ihr Debütalbum „Lotus“ veröffentlicht, ist für ihn „gelebte Inklusion“.

Ihr Debütalbum trägt den Titel „Lotus“. Welche Bedeutung hat die Lotusblüte für Sie?

Felix Brückner: Der Lotus steht unter anderem für Reinheit. Reinheit, die auch unsere Songs in ihren Eigenarten auszeichnet. Sie sind Resultat von vier Musikern, die nie den Anspruch verfolgten, damit kommerziell erfolgreich zu werden, sondern in erster Linie Songs zu schreiben, die ihnen gefallen. „Lotus“ ist deshalb das klassische erste, noch wenig von aussen beeinflusste Album und zeichnet sich deshalb durch die Reinheit der kreativen Ideen fernab des Mainstreams aus.

Das Album erscheint am 1. April – ein passendes Datum? Haben Sie einen Aprilscherz eingebaut?

Brückner: Wir haben tatsächlich darüber nachgedacht, aber uns ist kein wirklich guter Scherz eingefallen.

Was inspiriert Sie zu Ihren Songtexten?

Brückner: Oftmals wird angenommen, dass sich die Texte im Schwerpunkt um meine Behinderung drehen müssen. Das liegt meiner Meinung nach im gesellschaftlichen Bild von Menschen mit Behinderung begründet – der Unterstellung, dass die Lebensrealität behinderter Menschen ausschliesslich durch die Auseinandersetzung mit eben dieser Behinderung geprägt ist. Dabei drehen sich unser Alltag, unsere Bedürfnisse, Wünsche und Emotionen genau um die gleichen Dinge: Liebe, Sex, Selbstfindung, Gesellschaftskritik, glücklich und traurig sein, und sie sind deshalb auch meine Inspiration.

In „Phil the Beggar“ geht es etwa um den Ausbruch aus der gesellschaftlichen Norm. Inwiefern betrifft Sie dieses Thema persönlich?

Brückner: Ich beschäftige mich oft mit der Frage, ob mein Verhalten intrinsischer Natur ist oder ob ich mal wieder von den oft medial geprägten wertvoll- und wertlos-Definitionen getrieben bin. Warum es mir beispielsweise mal wieder nicht gelingt zu ignorieren, dass die Mehrheit der Gesellschaft mein Musikerdasein als nicht ernstzunehmenden Beruf ansieht, solange mir nicht tausende, kreischende Menschen auf Konzerten zujubeln oder ich mit dem Privatjet von Gig zu Gig fliege.

Auch mit Blick auf meine Behinderung gab es vor allem Phasen in meiner Jugend, in denen ich nicht so selbstbewusst damit umgehen konnte, wie ich das jetzt tue. Ich habe versucht, möglichst alles, was nicht der Lebensrealität und dem Aussehen nichtbehinderter Menschen entsprach, zu kaschieren. Ich weiss noch ganz genau, wie gern ich selbst Auto gefahren bin – mit Handgas und Automatikschaltung -, weil dabei niemand auf den ersten Blick erkennen konnte, dass ich behindert war. Auch das Bild des starken, maskulinen Mannes, des Jägers und Sammlers, des Versorgers, hat mich oft mit Blick auf die Akzeptanz meiner Behinderung und Männlichkeit beschäftigt.

In Ihrem Song „Sharp Dressed Animal“ behandeln Sie das Thema Sexualität und Behinderung. Warum ist das immer noch ein Tabuthema?

Brückner: Das Problem ist das gesellschaftliche Bild von Menschen mit Behinderung. Es fehlt leider das Bild des selbstbestimmten und selbstbewussten behinderten Menschen, der aktiv, stark, lebensfroh und eben auch sexuell ist. Diese fehlende Sichtbarkeit führt leider dazu, dass Dinge als abnormal oder „besonders“ wahrgenommen werden, obwohl sie es schlicht nicht sind.

Sie haben dazu auch ein sehr erotisches Musikvideo gedreht. Hat Sie das Überwindung gekostet?

Brückner: Definitiv, sowohl meinen eigenen Körper in dieser Form zu zeigen als auch mit einer weitestgehend fremden Frau so intim zu werden. Die Erfahrung und Professionalität von Laura Ehrich hat mir dabei aber sehr geholfen.

Viele Konzerte sind mittlerweile barrierefrei – zumindest für Besucher. Wie sieht es auf den Bühnen und in Proberäumen aus?

Brückner: Ich würde aus eigener Erfahrung sagen, dass nicht viele Konzerte barrierefrei sind. Mit Blick auf Hamburg fallen mir beispielsweise spontan maximal eine Hand voll Clubs ein, die sich wenigstens ansatzweise als barrierefrei bezeichnen dürfen. Es ist auch wichtig, den Behinderungsbegriff nicht nur mit Rollstuhlnutzenden zu assoziieren, denn dann wird der Nachholbedarf noch viel krasser deutlich.

Nichtdestotrotz ist es richtig, dass es oftmals der Gästebereich ist, der barrierefrei gestaltet wird, weil es behinderte Musikerinnen und Musiker ja nicht gibt (zwinkert). Deshalb werde ich auch auf 95 Prozent der Bühnen getragen. Proberäume sind grundsätzlich Mangelware, barrierefreie umso mehr.

Welche Rolle spielt der Rollstuhl bei Ihnen in der Band? Ist das überhaupt ein Thema?

Brückner: Die Band ist ein gutes Beispiel für gelebte Inklusion. Von Beginn an war der Rollstuhl und meine Behinderung präsent und wurde durch das tagtägliche Miteinander zur Normalität. Da wird ausserhalb von Interviews nicht viel drüber gesprochen, man kennt sich und seine Bedürfnisse untereinander, kleine Hilfestellungen gehören zum Alltag und im Zentrum des Miteinanders steht die Freundschaft, Musik und ganz alltäglich Themen.

Diese Normalität im Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung, dieser ganz automatisch stattfindende Perspektivwechsel, fehlt uns leider gesellschaftlich und ist Grund dafür, dass wir noch weit entfernt von der Inklusion von Menschen mit Behinderung sind.

Was bereitet Ihnen die meisten Einschränkungen im Alltag – als Musiker, aber auch als Privatmensch?

Brückner: Die grösste Einschränkung stellt das, wie bereits weiter oben aufgegriffene, gesellschaftliche Bild von unselbstständigen, hilfsbedürftigen, unglücklich und zurückgezogen lebenden Menschen mit Behinderung dar. Diesem Bild ist man tagtäglich ausgesetzt und ich hoffe, dass ich nie die Motivation verliere, daran etwas verändern zu wollen. Dieses Bild sorgt dafür, dass der Bedarf vielerorts mit Blick auf die Kultur, aber auch weit darüber hinaus, etwas barrierefrei zu gestalten, nicht gesehen wird. Das heisst, weder der Kiosk um die Ecke noch der Gast und schon gar nicht der Künstlerbereich im Club wird perspektivisch barrierefreier.

Im Alltag ist das nichts anderes: Wenn ich neue Menschen oder konkret eine Frau kennenlerne, muss ich meist erstmal Aufklärung betreiben, dass das alles nicht so schlimm ist, wie sie denkt. Sofern man dann beschliesst, eine Beziehung einzugehen, sieht auch sie sich mit den Vorurteilen und Stigmata konfrontiert: „Du musst ja dann sicher ganz viel helfen“, „Das mit dem Sex ist ja dann auch schwierig, oder?“, „Geht das überhaupt?“, „Musst du ihn dann überall hinbringen und abholen?“, „Also ich könnte das ja nicht“, „Da hast du meinen grössten Respekt“. So wird auch meine Partnerin zur Aufklärerin, weil Freunde und Familie sich nicht trauen mich selbst zu fragen.

Menschen gehen unterschiedlich mit Behinderungen um. Wie würden Sie sich wünschen, von anderen behandelt zu werden?

Brückner: Ganz normal, so wie jeder andere Mensch auf dieser Welt, unabhängig von Behinderung, Hautfarbe, Nationalität, Glaube und geschlechtlicher Identität, behandelt werden sollte.

Was muss noch für mehr Sichtbarkeit getan werden?

Brückner: Absolute Grundlage für die Sichtbarkeit ist die Barrierefreiheit. Ohne sie ist es uns schlicht nicht möglich, sichtbar zu werden, selbstbestimmt teilzuhaben und uns willkommen, wohl und sicher zu fühlen. Dabei sprechen wir nicht nur über die Stufe und Toilette im Club, sondern schon im Voraus beispielsweise über die barrierefreie Kommunikation. Ist es etwa sehbehinderten bzw. blinden Menschen überhaupt möglich, Informationen zu einer Veranstaltung zu bekommen oder ist die Homepage gar nicht durch ein Bildschirmlesegerät auslesbar?

Oftmals ist auch schon die barrierefreie Anreise eine grosse Problemlage. Wenn wir jetzt noch unseren Blick von Gästen auf Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung werfen, wird noch ein viel grösseres Defizit deutlich. Es muss ein sozialpolitischer Richtungswechsel stattfinden, mithilfe dessen privatwirtschaftliche, gesetzliche Verpflichtungen zur Barrierefreiheit Einzug halten.

War es für Sie nach Ihrem Unfall schwer, Selbstliebe bzw. -akzeptanz wiederzufinden?

Brückner: Ohne Zweifel. Ich war 16, mitten in der Pubertät und Identitätsfindung als Mann, inmitten der Entwicklung von Sexualität und sah mich damit konfrontiert mein restliches Leben im Rollstuhl zu verbringen. Ich spürte von heute auf morgen zwei Drittel meines Körpers nicht mehr und musste selbstverständliche Dinge wie das Sitzen wieder lernen. Ohne die Unterstützung meiner Familie, guter Therapeuten und der Erkenntnis, die irgendwann Einzug hielt, dass ich perspektivisch in der Lage sein werde, mein Leben komplett selbstständig zu führen, hätte ich diese bislang grösste Herausforderung meines Lebens womöglich nicht gemeistert.

Die Akzeptanz meiner Behinderung war ein jahrelanger Prozess und ist es manchmal noch immer. Die Entscheidung, mich diesem zu stellen und weiterzumachen, musste ich aber sehr schnell treffen und tat das glücklicherweise auch. Grosse Inspiration und Motivation waren dafür auch Begegnungen mit Menschen mit weitaus schwerwiegenderen Behinderungen, die so viel Stärke, Willenskraft und Lebensfreude ausstrahlten und mich im Gefühl von „Wer bist du, Felix, jetzt den Kopf in den Sand stecken zu wollen?“ zurückliessen.

Haben Sie je darüber nachgedacht, der Musik nach dem Unfall den Rücken zu kehren? Wenn ja, was hat Sie daran gehindert?

Brückner: Nein, weil ich auch erst einige Jahre nach meinem Unfall und dem Abschluss meines Erststudiums den Entschluss gefasst habe, professionell Musik zu machen. Vielmehr habe ich mich nicht durch die Einschätzung meiner HNO-Ärztin und die grandios misslungene erste Aufnahmeprüfung daran hindern lassen.

Sie sind in der Initiative Barrierefrei Feiern aktiv und beraten unter anderem das Wacken Open Air. Was konnte durch Ihre Beratung bereits umgesetzt werden?

Brückner: Zunächst einmal ist es uns in unserer Arbeit wichtig, eine Sensibilität für das Thema zu schaffen. Ohne dass es Veranstaltenden ein inneres Bedürfnis ist, sich für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung einzusetzen, ist alles andere nicht nachhaltig. Auf dieser Grundlage entwickeln wir gemeinsame Strategien zur Umsetzung von Barrierefreiheit, angefangen von barrierefreier Kommunikation über die Anreise bis hin zu Parkplätzen, Wegestrukturen, barrierefreier Gastronomie, Camping, Sanitäranlagen sowie inklusivem Booking und Personalbesetzung.

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