Milliarden: «Mit den Füssen im Dreck und dem Kopf in den Sternen»

Nach „Betrüger“ bringen die Milliarden ihr zweites Album an den Start. Warum es ausgerechnet „Berlin“ heisst, haben Ben Hartmann und Johannes Aue im Interview verraten.

Arm, aber sexy, dreckig, laut. Über Berlin gibt es viele Klischees. Manche davon treffen zu, andere nicht. Die Berliner Band Milliarden hat ihr neues Album nun nach der deutschen Hauptstadt benannt. Warum sie das getan haben, erklärten Sänger Ben Hartmann und Pianist Johannes Aue im Interview. Hinter „Berlin“, zu dem es auch einen kompletten Musikfilm geben wird, versteckt sich aber noch mehr. Es ist ein Liebesbrief an einen Sehnsuchtsort.

Ihr Album heisst „Berlin“. Darf man ein Album im Jahr 2018 so nennen?

Ben Hartmann: Man darf ja alles. Weil dieses Wort so besetzt und verbraucht ist, haben wir uns natürlich am Anfang die Frage gestellt, ob wir das wirklich machen sollen. „Berlin“ ist ein sehr persönliches Album. Wir versuchen uns dieses Wort mit diesen persönlichen Biografien dieser Milieus zurückzuerobern. Wir wollen dem Wort wieder einen wahren Inhalt geben, anstatt nur die Illusion dieser Möchtegern-bunten Stadt, dieser Möchtegern-grellen Stadt aufrechtzuerhalten. Wir versuchen dieser „Arm, aber sexy“-Illusion zu entkommen. Wir wollen dem Raum, in dem wir leben, eine Art Richtigkeit und Wahrheit geben.

Ist das die Botschaft, die man raushören soll?

Ben Hartmann: Als wir am Ende unsere Lieder angehört haben, hat uns jemand gesagt, dass das alles immer im Spiegel unserer Stadt stattfindet. So kam uns die Idee mit „Berlin“. Erst haben wir eine halbe Stunde darüber gelacht und waren uns sicher, dass wir das nicht machen können. Aber dann fiel der Groschen und wir dachten, dass wir es genau deswegen eigentlich so nennen müssen. Um zu versuchen, wieder Kontakt zu unserer Stadt herzustellen.

Ist das Album ein Liebesbrief an Berlin?

Ben Hartmann: Bei uns geht es natürlich oft um dieses Thema. Liebe ist etwas, das einen permanent umtreibt und die innere Uhr aufzieht. Dieses Widerspiel von Liebe und Lieblosigkeit. Ich weiss nicht, was man ohne dieses Gefühl so treibt. Das Lied „Berlin“ umschreibt einen Sehnsuchtsort. Und umschreibt sehnsuchtsvolle Zustände. Und in Sehnsucht steckt natürlich viel Liebe drin.

Wenn Sie sich gegenseitig einen Liebesbrief schreiben müssten, was würde da drinstehen?

Johannes Aue: Ich liebe dich.

Ben Hartmann: Liebe mich.

Schlicht, aber schön! Und was würden Sie sich gegenseitig tätowieren?

Johannes Aue: Ich würde Ben einen Mercedes-Benz-Stern über sein linkes Auge tätowieren. Weil er sich immer so darüber freut, dass an der Spree die wunderschöne Mercedes-Benz-Arena gebaut wird. Das ist ein bisschen Liebe und Hass in einem.

Ben Hartmann: Also es muss auf jeden Fall etwas Auffälliges sein. Vielleicht eine Brille. Und die Message ist: Du musst einfach mal genauer hinschauen. Du brauchst den Durchblick.

Zum Album wird es auch einen Film geben. Wie kam es dazu?

Johannes Aue: Wir haben uns gemeinsam mit den Leuten, die bei unserem letzten Album die Musikvideos für uns gemacht haben, dazu entschieden, unser Album zu einem Musikfilm zu machen. Mario, der Regisseur, meinte: „Lasst uns mal was ausprobieren!“ Und wir haben immer Bock Dinge zu wagen.

Ben Hartmann: Erst als die Lieder da waren, kam die Idee auf, nicht nur einzelne Videos zu machen, sondern alles, was auf dem Album stattfindet, in einer Art Geschichte zu erzählen, um ein gesamtes Gefühl zu thematisieren. Wir hatten ein Bild von einer Person, die für uns dieses Album auch gut widerspiegelt. Ein Porträt einer jungen Frau, die sehr verbraucht und müde aussieht. Das hat uns total inspiriert.

Wie würden Sie den Inhalt des Films kurz zusammenfassen?

Ben Hartmann: Mit den Füssen im Dreck und dem Kopf in den Sternen.

Was ist das schönste Kompliment, das man Ihnen für Ihre Arbeit und für Ihre Musik machen kann?

Johannes Aue: Wenn jemand ehrlich sagt, was er dazu denkt. Auch ein negativer Kommentar kann mich sehr aufmuntern. Da ist jemand, der sich Gedanken macht. Ob glücklich oder erbost, beide Wahrnehmungen gehen für mich klar. Es berührt mich gleichermassen.

Ben Hartmann: Wenn die Leute mitsingen, habe ich das Gefühl, dass es eine Art Sprache gibt, die uns verbindet. Obwohl wir uns nicht kennen.

Was unterscheidet die Milliarden von anderen Bands?

Ben Hartmann: Dass wir so widerspenstig sind. Dass wir so völlig unterschiedliche Stimmungen und Spannungen haben können. Wir geben auf der Bühne alles und versuchen zusammen mit den Menschen, die da sind, ein- und auszuatmen.

Johannes Aue: Es gibt keinen Plan, alles kann passieren.

Sie behandeln auf dem neuen Album teilweise heftige Themen wie zum Beispiel Abtreibung. Wie viel persönliche Wahrheit steckt in Ihren Texten?

Ben Hartmann: Das sind alles sehr persönliche Texte. Die Inspiration speist sich natürlich aus einem sehr engen familiären Umfeld. Es ist gelebtes Leben. Wirkliche Biografien und wirkliche Haltungen. Das ganze Album ist sehr ehrlich und geerdet. Es spielt nicht im Orbit, es spielt hier auf dem Boden. Auf dem Betonboden.

Sind Sie schon mal richtig auf dem Boden aufgekracht?

Ben Hartmann: Klar, auf jeden Fall. Das ist dieser Zwiespalt, wenn man sich entscheidet, Musik zu machen. Oder so zu leben, wie wir das machen. Das ist eine Berg- und Talfahrt. Da knallt man oft auf die Schnauze. Aber dafür hat man auch Momente, die kostbar sind und singulär. Umso weiter es nach unten geht, umso höher geht es auch nach oben.

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