Bilderbuch-Sänger Maurice: «Ich will mich spüren als Mensch»

Müssen Musiker auch Social-Media-Experten sein? Welche Antwort Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst auf diese Frage hat, hat der Österreicher im Interview verraten.

Muss man als Künstler oder Musiker auch zwangsläufig Social-Media-Experte sein? Es scheint fast so. Der österreichischen Band Bilderbuch gelang im Dezember 2018 ein echter Überraschungseffekt, als sie quasi über Nacht das Album „mea culpa“ veröffentlichten und gleichzeitig noch eine zweite Platte namens „Vernissage My Heart“ ankündigten – kommuniziert wurde alles über Instagram. Album Nummer zwei erscheint nun am 22. Februar. Im Interview sprach Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst (31) über die Herausforderungen, die der Zeitgeist der Millennials an ein Dasein als Musiker stellt.

Das Album „mea culpa“ haben Sie im Dezember ohne die klassische Vorankündigung veröffentlicht. Braucht es mehr Überraschungen in der aktuellen Musikbranche?

Maurice Ernst: Ich glaube, dass es schon längst so weit ist, dass ein Teil des Release-Prozesses Überraschung ist. Diese klassischen Kampagnen, bei denen man ein halbes Jahr davor ankündigt, was passieren wird, bekommt man gar nicht mehr so oft zu Gesicht. In Amerika ist das schon gang und gäbe. Im deutschsprachigen Raum hat das halt noch keiner gemacht. Wir wollten sehen, was unsere Fans daraus machen, wenn wir ihnen einfach Musik ohne Beipackzettel geben.

Was kam an Feedback zurück?

Maurice Ernst: Ein super positives. Viele Fans haben nicht damit gerechnet und deswegen war die Freude umso grösser. Natürlich ist das auch schwierig, weil ein Album als Paket daherkommt. Die Leute sind es gewohnt, dass sie schnell drei Minuten ein neues Lied anhören. Aber so eine Platte ist ja doch ein Gerät. Es braucht seine Zeit. Man kann überraschen, wie man will, man verliebt sich erst in eine Platte, wenn man sie ein paar Mal gehört hat. In die wenigsten Alben verliebt man sich auf den ersten Blick.

Sind Sie verliebt in die neue Musik?

Maurice Ernst: Ja sehr. Ich mag „mea culpa“ extrem gern. Die Platte ist mein leiser kleiner Favorit, wenn es um meinen eigenen Geschmack geht. „Vernissage My Heart“ hingegen mag noch ein bisschen interessanter sein, weil sie sich mehr traut, sich in die neue weite Welt hinauswagt und herausfindet, was noch alles möglich ist.

Bilderbuch wird attestiert mit den Texten und Songs den Zeitgeist treffend zu beschreiben. Was ist Zeitgeist?

Maurice Ernst: Zeitgeist wird natürlich dominiert von Medien, die wir konsumieren und die uns beeinflussen. Von Social Media und den Dingen, die wir tagtäglich in der Hand haben. Das ist halt das Handy. Wo liegt da der tiefere Sinn? Das einerseits mit Tiefgang und andererseits ganz oberflächlich zu betrachten, ist in gewisser Massen Zeitgeist. Inhaltlich. Gelebter Zeitgeist ist aber noch viel krasser. Gelebter Zeitgeist hiesse ja, einfach alles, worauf man Lust hat, zu machen, um es bei Social Media für die Follower festzuhalten.

Können Sie sich damit identifizieren?

Maurice Ernst: Nein. Mit was ich mich eher identifizieren kann, sind die Umstände. Ich erkenne hundertprozentig an, in welcher Zeit wir leben. Ich werde Medien niemals grundsätzlich verurteilen, sondern eher den Umgang damit. Beobachten ist etwas, was ein Künstler extrem gut können muss. Wenn ich zum Beispiel im Urlaub zusehe, wie Leute eine halbe Stunde vor meiner Nase ein Selfie vor einer weissen Wand machen… das geht nicht spurlos an mir vorbei! Das ist einfach zu witzig. Und zu krass. Alles steckt da drin. So viel Hoffnung, so viel Verzweiflung, so viel Schönheit und so viel Traurigkeit. Das muss man als Künstler ansetzen. Bei den Sachen, die vor deiner Nase passieren. Die sind das Spannende unserer Zeit.

Denken Sie, dass sich die Generation der Millennials zu sehr auf dieser Scheinwelt ausruht?

Maurice Ernst: Das ist halt die Frage, was in zehn Jahren ist. Vielleicht ist diese vermeintliche Scheinwelt genauso real, wie die reale Welt und es ist nur eine Frage des Anerkennens. Ich will mein reales Dasein nicht gegen ein virtuelles austauschen. Ich will mich spüren als Mensch, ich will da und real sein.

Fans, die nicht bei Social Media sind oder wenig mit dem Internet zu haben, werden aber kaum den Release von „Mea Culpa“ mitbekommen haben…

Maurice Ernst: Das ist genau der Punkt. Man will sich nicht vereinnahmen lassen von dem Medium, bedient es aber trotzdem. Ich selbst konsumiere Musik de facto auch nur mit diesen Medien, sprich Spotify, Tidal oder iTunes. Ich muss zwangsläufig als Konsument oder als Künstler damit arbeiten. Die Frage ist nur, wie weit gehe ich? Bin ich Musiker oder Social-Media-Experte? Ganz ausschliessen kann ich letzteres nicht mehr.

Warum nicht?

Maurice Ernst: Wo finden denn heute noch Musikvideos statt? Es gibt logischer Weise kein Musikvideo-Fernsehen mehr, kein MTV. Facebook spielt für Musiker und Künstler auch keine Rolle mehr. Wir sind da ein bisschen rausgeekelt worden. Jetzt sind alle auf Instagram und dort kann man keine längeren Videos hochladen. Das Medium Musikvideo ist in einer richtig schwierigen Phase. Auf einmal müssen Musiker wie wir unsere Songs innerhalb von 15 Sekunden präsentieren. Dass der visuelle Content und die eigentliche Musik immer weiter auseinander driften, erinnert mich als Musiker daran: Junge, mach Musik!

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