Joy Denalane: «Rassismus begleitet mich mein ganzes Leben»

Soul-Queen Joy Denalane hat sich viel Zeit genommen, um ihr neues Album „Gleisdreieck“ fertigzustellen. Warum die Fans solange warten mussten und warum sie quasi täglich mit Alltagsrassismus konfrontiert wird, verrät sie im Interview.

Soul-Diva Joy Denalane (43) hat sich für ihr neues Album „Gleisdreieck“ sechs Jahre Zeit gelassen. Zeit, die sie aber nicht ungenutzt liess. Durch viel Selbstreflexion hat sich die Berlinerin gewissermassen selbst neu erfunden – musikalisch gesehen. Das neue Album klingt frisch und anders als die vorangegangenen Alben. Thematisch hat sie ihre Inspiration, wie früher, aus privaten Erfahrungen geschöpft. Mit der SpotOn-Redaktion sprach sie über ihren Neuanfang, ihre Kindheit in Berlin und über Alltagsrassismus.

Frau Denalane, „Gleisdreieck“ ist Ihre erste Platte seit sechs Jahren. Fühlt es sich wie ein Neuanfang an?

Durchaus. Sogar auf mehreren Ebenen. Zum einen, weil so viel Zeit seit dem letzten Album vergangen ist – in der Musik-Zeit-Rechnung sind sechs Jahre fast ein halbes Leben. Zum anderen ist es auch musikalisch neu, da ich mit vielen neuen Leuten gearbeitet habe. Das hat sich massiv auf das Songwriting, auf die Produktion und auf die Texte niedergeschlagen.

Was haben Sie zwischen ihrem letzten Album und „Gleisdreieck“ gemacht?

Ich habe eigentlich wie üblich etwa zwei Jahre nach dem Release von „Maureen“ begonnen, neue Songs zu schreiben. Hatte dann auch sehr schnell, sehr viel Material beisammen. Ich habe aber dann, kurz bevor wir ins Studio gehen wollten, für mich überprüft, ob es wirklich die Songs sind, die ich aufnehmen möchte. Ich wurde dabei das Gefühl nicht los, dass sie nur eine Wiederholung von dem Vorherigen waren. Deshalb habe ich alles verworfen und neu angefangen. Ich hab mein Camp erweitert und mich in gewisser Weise neu erfunden. Denn sobald man auf neue Menschen trifft, muss man sich neu erzählen.

Was für Erinnerungen verbinden Sie persönlich mit dem „Gleisdreieck“ in Berlin?

Dort bin ich aufgewachsen. Ich habe die Gesellschaft dort schon immer als heterogen empfunden. Dort haben viele Kinder aus unterschiedlichen Schichten, mit unterschiedlichen Bildungsgraden und Nationalitäten gelebt. Wir waren einfach Kinder, die einen offenen Umgang miteinander hatten. Das hat mein Weltbild bis heute sehr geprägt und hat mir im weiteren Verlauf meines Lebens dabei geholfen, die Angst vor dem Fremden, die jeder Mensch in sich trägt, abzubauen.

Und natürlich ist dort auch meine ganze Familiengeschichte passiert. Ich hab dort eine Vorstellung von Familie erfahren – mit meinen fünf Geschwistern und meinen Eltern. Was es bedeutet, Teil einer Familie zu sein. Zu lieben und geliebt zu werden.

Sie beschäftigen sich auf dem Album unter anderem auch mit Alltagsrassismus. Hatten Sie früher, oder gar in jüngster Vergangenheit, selbst damit zu kämpfen?

Dieses unschöne Thema begleitet mich schon mein ganzes Leben und es lässt mich auch nicht los. Da ich, ganz lapidar gesagt, nicht zur weissen Mehrheitsgesellschaft gehöre. Bis zu einem gewissen Alter war mir das egal. Klar wusste ich, dass ich anders aussehe, als andere Kinder, aber ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht. Bis ich in meiner frühen Kindheit erstmals damit konfrontiert wurde. Es war glaube ich in der ersten oder zweiten Klasse, da haben mich die anderen Kinder gefragt, warum ich anders aussehe, wo ich herkomme und wann ich zurückgehe.

In jüngster Vergangenheit hat mich diese ganze Pegida-Geschichte sehr irritiert. Ich hatte das Gefühl, dass die Gesellschaft regelrecht gespalten wird. Ich hatte diese Irritation in dieser Intensität nicht mehr seit dem Mauerfall gespürt.

Das ganze Album klingt sehr persönlich. Sie arbeiten darauf viele Dinge aus der älteren und jüngsten Vergangenheit auf. Was ist Ihnen bei dieser Reflexion am schwersten gefallen?

Jeder Mensch hat eine gewisse Vorstellung von sich selbst. Sobald man seine Gedanken und Ansichten aber dann tatsächlich formulieren muss, ergibt sich wieder ein anderes Bild. Durch diese Selbstreflexion hinterfragt man sich selbst kritisch und bei diesem Prozess sollte man auch hart mit sich ins Gericht gehen. Das kann eine schmerzhafte Erfahrung sein – man gewinnt aber auch neue Erkenntnisse.

In Songs wie „Hologramm“ oder „Zwischen den Zeilen“ klingt es so, als würden Sie über Ihre damalige Trennung von Max Herre singen?

Man kann in die Texte natürlich sehr viel hineininterpretieren (lacht). Bei „Hologramm“ spreche ich aber durchaus aus eigener Erfahrung – sei mal dahingestellt mit wem. Bei „Zwischen den Zeilen“ nehme ich aber eher die Position der Nebensitzerin ein. Denn die Geschichten, die ich erzähle, sind teilweise eigene Erfahrungen, aber auch Erfahrungen, die andere Menschen aus meinem engen Umfeld gemacht haben und die ich quasi nur nacherzähle.

Auf dem Album sind einige männliche Features, aber Ihr Lebensgefährte Max Herre ist nicht dabei. Wäre es nicht mal wieder Zeit für ein Duett?

Im Grunde spricht nichts dagegen, aber es muss sich richtig anfühlen. Wir müssen beide das Bedürfnis dazu haben, den passenden Song finden und auch inhaltlich etwas zu sagen haben. Einen Song am Reissbrett zu schreiben, nur weil es mal wieder an der Zeit ist und es bei „Mit dir“ so gut funktioniert hat, halte ich für falsch. Aber vielleicht. Wer weiss.

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