„HerStory“-Podcasterin Jasmin Lörchner: Die Stimme historischer Frauen

Jasmin Lörcher ist Journalistin

Quelle: Megan Robbins

Jasmin Lörchner hat sich zum Ziel gesetzt, Frauen und queere Menschen in der Geschichte sichtbarer zu machen. Mit ihrem Podcast „HerStory“ gelingt es ihr, diese Geschichten lebensnah zu erzählen. Warum auch unschöne Seiten dazugehören, verrät sie im Interview.

Sie bezeichnet sich nicht bewusst als Feministin, trägt aber mit ihrer Arbeit wesentlich dazu bei, dass Frauen in unserer Gesellschaft sichtbarer werden – auch historisch. Jasmin Lörcher ist die Stimme hinter dem erfolgreichen Podcast „HerStory“, in dem sie über Frauen der Zeitgeschichte spricht, die in Geschichtsbücher gehören. In ihrem eigenen Buch „Nicht nur Heldinnen“ schafft sie es zudem, Zeitgeschichte über den Tellerrand hinaus zu betrachten.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news hat sie anlässlich des Weltfrauentages am 8. März verraten, warum historische Frauenfiguren nicht nur heldenhafte Eigenschaften besitzen, sondern auch voller Widersprüche stecken – und wieso das gut ist.

In Ihrem Podcast „HerStory“ erzählen Sie die Geschichten aus dem Leben von Frauen und queeren Personen, die in Geschichtserzählungen wenig dokumentiert sind oder Nebenrollen einnehmen. Empfinden Sie Ihre Arbeit als feministischen Beitrag?

Jasmin Lörchner: Ich stelle mich normalerweise nicht explizit als Feministin vor, aber erlebe durch meinen Podcast, dass ich mich dadurch auf einer feministischen Reise befinde. Je länger ich den Podcast mache, desto mehr sensibilisiert er mich eben auch selbst – ich lerne immer wieder etwas Neues dazu und mache mir noch mehr Gedanken über Ungleichheiten oder Ungerechtigkeiten.

Wie entscheiden Sie, über welche Personen Sie in Ihrem Podcast sprechen? Gibt es Kriterien, die hinter der Vorstellung einer Persönlichkeit stehen?

Lörchner: Ich habe mehrere Säulen im Podcast: Ich möchte zum einen Marginalisierung auf allen Ebenen berücksichtigen, deshalb spreche ich nicht nur über Frauen, sondern auch über queere Personen, People of Color und Menschen mit Behinderungen. Dann erzähle ich nicht nur jüngere Geschichte, also Neuzeit oder Zeitgeschichte, sondern eben auch ganz weit zurück. Und ich möchte international sein, weil wir häufig den Fokus auf Westeuropa legen, aber wann immer es möglich ist, möchte ich auch Portraits aus Asien, dem globalen Süden oder dem Nahen Osten miterzählen.

Ganz wichtig ist mir auch, keine beschönigenden Geschichten zu erzählen – es soll menschlich und realistisch sein.

Neben „HerStory“ sind Sie auch als Autorin tätig. Ihr neues Buch erzählt die Geschichten von 20 Frauen, die nicht nur positive Entscheidungen im Leben getroffen haben. Wie ist es dazu gekommen?

Lörchner: Ein gutes Beispiel dafür habe ich selbst erlebt: Nach einem Social Media Beitrag zu Coco Chanel, in dem auch ihre Beziehung zu einem Offizier zur Sprache kam, erreichten mich pikierte Reaktionen mit der Frage: „Wo wir uns jetzt gerade mal an diese Frauen erinnern, warum muss man diese jetzt schlecht machen?“ Mir geht es darum, Personen realistisch darzustellen, sie also nicht zu beschönigen oder nur auf negative Facetten abzuheben. Wenn wir kontroverse Entscheidungen oder Verhaltensweisen ausblenden, erzählen wir eine unvollständige Geschichte. Wichtig ist, den Kontext mitzuerzählen, um die Person in ihrer Zeit zu verstehen. Auch in „Nicht nur Heldinnen“ habe ich immer berücksichtigt, welche Rahmenbedingungen ihre Lebensweise und ihre Entscheidungen beeinflusst haben.

Gibt es eine besonders beeindruckende Erkenntnis zu einer Ihrer Recherchen?

Lörchner: Mich hat zur Recherche des Buches Gala Dalí total fasziniert, mit wie vielen Künstlern sie verbandelt war und wie sie Einfluss genommen hat. In meinem Podcast war es für mich in einer meiner früheren Folgen Margarete Steiff, die sich als Frau im Rollstuhl nicht von ihrem Weg abbringen liess und wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Deutschen Kaiserreiches beigetragen hat. Aber es gibt zwei Seiten der Medaille: Sie ist eine Frau, die eigentlich eine Pionierin ist, aber es gibt diesen Punkt, wo ich finde, da hätte sie gedanklich noch einen Schritt weiter gehen können, nämlich in Bezug auf Frauenrechte.

Was ist denn möglicherweise die Lehre daraus? Was können Hörerinnen und Hörer aus Geschichtserzählungen lernen?

Lörchner: Im Falle von Margarete Steiff zeigt es für mich, dass man sie nicht überzeichnen sollte, man muss sie einfach menschlich sehen. Denn sie kann sehr fortschrittlich sein, in dem, wie sie für sich handelt, aber sie hätte ihre Macht und Position auch dafür nutzen können, um sich beispielsweise auch für die erste Welle der Frauenbewegung dieser Zeit einzusetzen – hat sie aber nicht. Ich versuche immer zu verstehen, was die Rahmenbedingungen waren, und diese verschiedenen Facetten zusammentragen. Lebensläufe sind selten linear und frei von Widersprüchen. Die Lehre – oder ein Wunsch von mir – wäre wohl, dass wir Ambivalenzen und Graustufen aushalten, statt ins Schwarz-Weiss-Denken zu verfallen.

Wie können wir es als Gesellschaft erreichen, dass Persönlichkeiten aus der Geschichte für unser heutiges Verständnis nicht länger Nebenfiguren der Zeit bleiben?

Lörchner: Generell gilt ja in der Geschichtswissenschaft, dass wir in jeder Zeit auch neue Fragen an die Vergangenheit stellen, weil uns natürlich auch als Gesellschaft neue Dinge beschäftigen. Wir geben ja auch erst jetzt mehr Raum für queere Geschichte, die lange noch weniger beachtet wurde als Frauengeschichte. Wenn wir ein gerechteres und diverseres Geschichtsverständnis wollen, helfen Fragen wie: „Wem hat man nicht zugehört?“ oder „Wer hat keine Stimme bekommen?“ – und die Anschlussfrage wäre natürlich: „Warum hatten diese Personen keine Stimme?“

Sie haben es mit Ihrem Podcast geschafft, Persönlichkeiten aus der Geschichte eine Stimme zu geben. Was würden Sie sich allgemein wünschen?

Lörchner: Mein grosser Wunsch ist es, dass Frauengeschichte und queere Geschichte ganz selbstverständlich miterzählt wird. Damit das passiert, muss das zum Beispiel auch in Schul- und Geschichtsbüchern ankommen. Auch in Universitäten. Denn das sind die Orte, an denen sensibilisiert wird. Ich fände es schön, wenn wir irgendwann aufhören, explizit von „Frauenliteratur“ oder „queere Geschichte“ zu sprechen, um eine Lücke zu füllen. Denn wir haben eine ausgewogene Zeitgeschichte, wenn wir diese so vielfältig erzählen, wie unsere Gesellschaft auch ist.

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