Moritz A. Sachs: „Klaus Beimer sollte schon als Kind sterben“

Am kommenden Sonntag läuft die letzte Folge der „Lindenstrasse“. Von Anfang bis Ende dabei war Moritz A. Sachs. Dabei sollte Klaus Beimer eigentlich schon als Kind sterben.

Die „Lindenstrasse“ geht am Sonntag (18:50 Uhr, das Erste) mit der Folge „Auf Wiedersehen“ zu Ende – nach über 34 Jahren. Von Anfang bis zum Schluss dabei war Moritz A. Sachs (41). Mit seinem Buch „Ich war Klaus Beimer: Mein Leben in der Lindenstrasse“ (EMF Verlag) blickt der Schauspieler auf diese Zeit zurück. Warum seine Figur schon als Kind sterben sollte und was er für seine Zukunft plant, erzählt der 41-Jährige im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.

Sie haben fast Ihr ganzes Leben in der „Lindenstrasse“ verbracht. Wie war es für Sie, das alles nun für Ihr Buch aufzuschreiben?

Moritz A. Sachs: Das hat mir sehr gut getan. Ich habe kurz nach der Nachricht, dass wir mit der „Lindenstrasse“ aufhören würden, damit angefangen. Das war eine Hilfestellung für mich, Abschied zu nehmen. In unserer Branche ist es normal, zu kommen und zu gehen – nur wir kannten das ja nicht. Ich stand 34 Jahre in der gleichen Produktion vor der Kamera, zum grossen Teil mit den gleichen Leuten. Emotional war ich da sehr gebunden.

Wie haben Sie die Zeit seit dem letzten Drehtag im Dezember erlebt?

Sachs: Dass mir etwas fehlt, merke ich momentan noch nicht sehr stark. Das liegt an verschiedenen Dingen: Wir hatten erstens ein Jahr Zeit zum Abschiednehmen – was das angeht, bin ich etwas ausgelaugt. Ausserdem hatten wir in den vergangenen Jahren auch Sommer- und Winterpausen, und ich hatte immer wieder mal ein paar Monate frei. Das heisst, bis dieses Gefühl hochkommt, dass ich da nie wieder hingehe, wird noch länger dauern. Jetzt bin ich froh, dass das Abschiednehmen ein Ende hat und ich diese schwierige Zeit hinter mir habe.

Mit welchen Kollegen werden Sie privat Kontakt halten?

Sachs: Ich habe viel Kontakt mit den Kollegen, die wie ich in Köln leben. Sehr eng bin ich mit meinen ehemaligen WG-Kumpels aus der „Lindenstrasse“, Moritz Zielke und Joris Gratwohl, und auch mit meiner ehemaligen Filmfrau Jacqueline Svilarov und mit Cosima Viola. Dass der Arbeitsplatz für viele von klein auf ein zweites Zuhause war, verbindet uns alle. Und daraus entsteht ein sehr inniges Verhältnis.

Sie erzählen im Buch, dass Sie Willi Herren kannten, bevor er in der „Lindenstrasse“ mitspielte. Sie haben ihn als Freund mit zum Dreh genommen, wo er sich selbst vorgestellt hat. Sind Sie heute noch mit ihm befreundet?

Sachs: Wir sehen uns immer mal wieder, aber er ist natürlich hauptsächlich auf Mallorca. Der Kontakt ist daher nicht mehr so eng, das war vor allem in unserer Teenager-Zeit, als wir zusammen gedreht haben.

Ihr Serienvater Joachim Luger meinte in einem „Bild“-Interview, Willi habe „ja nie gespielt, sondern sich selbst verkörpert“. Sehen Sie das auch so?

Sachs: Nein, das sehe ich nicht so. Im Grunde könnte man das über uns alle sagen. Wir sind ja doch im Laufe der Jahre mit unseren Figuren verschmolzen. Nicht charakterlich, aber wir mussten uns nicht gross verstellen. Das macht die Schauspielerei allerdings nicht kleiner. Ich halte es für eine sehr grosse Herausforderung, möglichst nahe an seiner Figur dranzubleiben. Und das geht eigentlich nur, wenn man einen Teil von sich selbst einbringt. Willi ist kein gelernter Schauspieler. Auch das gilt für viele von uns, die schon früh angefangen haben. Olli Klatt und Willi sind aber sehr unterschiedlich. Willi war nie ein Bösewicht. Er mag manchmal ein Chaot sein, aber er ist ein herzenslieber Mensch.

Til Schweiger erklärte über die „Lindenstrasse“, er sei diese zwei Jahre nicht gerne zur Arbeit gegangen. Wie haben Sie ihn erlebt?

Sachs: Ich selbst war damals noch sehr klein. Til Schweiger hatte zudem nur eine kleine Rolle… Aber es ist ja auch ein sehr persönliches Empfinden. Er war in einer ganz anderen Lebensphase, als ich es war, als ich angefangen habe. Ich hatte nie das Gefühl, dass er einen Groll auf die Leute vor Ort hatte. Am Ende war es wohl einfach nicht das, was er gerne machen wollte, nicht sein Ziel oder sein Traum. Das ging auch anderen so, die nur kurze Zeit bei der „Lindenstrasse“ waren. Und Til hatte ja für sich selbst Recht damit, es ist gut gelaufen bei ihm.

Dass Sie selbst so lange dabei sein würden, war anfangs auch nicht abzusehen. Klaus Beimer sollte eigentlich als Kind im Badeurlaub ertrinken…

Sachs: Das stimmt. Erfahren habe ich das erst Jahre später mit Mitte 20. Ich habe mit Hans W. Geissendörfer aber darüber gesprochen, warum Klaus Beimer schon als Kind sterben sollte. Es ging tatsächlich darum, dass einfach etwas passieren musste. Es wurde sich über Jahrzehnte viel beklagt, dass die Familie Beimer auseinandergebrochen ist. Aber es war natürlich eine Entscheidung, die zwingend war, um einen Spannungsbogen aufzubauen. Witzigerweise hat die Trennung von Helga und Hans Beimer die „Lindenstrasse“ im Grunde bis zur letzten Folge begleitet. Das wäre bei der Alternative, Klaus‘ Tod, sicher nicht der Fall gewesen. Bennys Tod haben wir ja auch irgendwann ad acta gelegt.

An welchen Punkten haben Sie zwischendurch selbst ans Aufhören gedacht?

Sachs: Die Überlegung kam in allen Umbruchphasen des Lebens auf, nach der Schule, als ich mich hinter der Kamera weiterentwickelt habe, kamen schöne Jobangebote. Zwischendrin habe ich mich auch gefragt, ob die „Lindenstrasse“ mein Lebenszweck sein soll. Auf der anderen Seite war es natürlich ein schöner, angenehmer Job, als Schauspieler in einer Dauer-Serie zu sein. Bei mir hat immer überwogen, dass ich mich da wohlfühle. Zudem hatte ich die Freiheit, mich nebenbei weiterzuentwickeln. Abgesehen davon war die „Lindenstrasse“ auch ein schönes Format.

Ihre körperlichen Veränderungen im Laufe der Jahre waren auch immer wieder ein Thema. Ihnen wurde sogar gesagt, Sie seien zu dick fürs Fernsehen, schreiben Sie.

Sachs: Ja. Das war nicht schön und es macht natürlich auch überhaupt keinen Sinn. Aber es limitiert die Rollen und die Erzählmöglichkeiten schon auf einen bestimmten Typus. Ob Theaterstück, Kinofilm oder Fernsehen: In gewisser Weise muss das Optische dem Zuschauer ein bisschen etwas über die Figur erzählen. Klaus Beimer sollte positiv sein, eine neue Frau finden. Daher stand mein Gewicht dann zur Debatte. Aber es ist natürlich nicht besonders glücklich, wenn man diesem Druck ausgesetzt ist. Viele Menschen, die dicker sind als die Norm, kämpfen sowieso mit dem Thema. Da kann man gute Ratschläge nicht wirklich gebrauchen. Gerade wenn man eine Essstörung hat, die dazu führt, dass man in Drucksituationen erst recht isst.

Wie haben Sie abgenommen?

Sachs: Das habe ich unter ärztlicher Betreuung gemacht, mit einer Pulver-Diät, die über drei Monate lief. Es gab dabei eine Gruppentherapie und auch Sporttherapie. Ich hatte zuvor wirklich die Nase voll, habe aber erkannt, dass das Abnehmen bei mir alleine nicht klappt. Die ärztliche und psychologische Betreuung lief dann über ein Jahr. Schnelles Abnehmen ist im Prinzip nicht gesund, dazu muss man sich professionelle Hilfe holen. Das Problem ist für mich nun natürlich, dass ich das Gewicht halte. Es gibt immer wieder Rückschläge: Letztes Jahr habe ich mir das Bein gebrochen, jetzt ist der Job weg. Der alltägliche Kampf ist immer da.

Zur gleichen Zeit wie Ihre Figur Klaus Beimer mussten auch Sie damit fertig werden, dass Ihre Partnerin eine Fehlgeburt erlitten hat. War das zu spielen das Schwerste, was Sie in Ihrer Karriere gemacht haben?

Sachs: Ja, ganz sicher. Das aufzuschreiben, ist mir ebenfalls sehr schwer gefallen. Dieser Verlust der Lebensperspektive, der daraus folgt, vor allem, wenn das wie bei uns mehrfach passiert, ist schlimm. Da merkt man, dass es Schlimmeres im Leben gibt, als eine Fernsehserie zu verlieren.

Wie geht es für Sie beruflich weiter? Sie haben sich auch hinter der Kamera weiterentwickelt, als Regieassistent und Aufnahmeleiter gearbeitet…

Sachs: Auch als Produktionsleiter, Eventmanager und Produzent. Ich habe mich noch nicht hundertprozentig entschieden, welchen Weg ich gehen möchte. Ich habe so viele verschiedene Dinge über die Jahre gemacht und möchte auf keinen der Bereiche verzichten. Die Arbeit hinter der Kamera macht mir Spass, ich organisiere gerne Dinge. Ich vermute, dass ich in allen Bereichen weitermachen werde. Ich arbeite halt auch gern. Zurzeit wurde das kulturelle Leben aufgrund der Corona-Krise allerdings eingestellt, das trifft mich wie die meisten meiner Kollegen unmittelbar und jetzt. Freischaffende, Freelancer, Theater, kleine Produktionen und Events. Ich fürchte, ohne schnelle Hilfen werden wir in unserer Branche einen massiven langfristigen Einbruch erleben, der fast alle betreffen wird.

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