Alkoholkonsum im Teil-Lockdown: So vermeiden Sie ein Suchtproblem

Kann der neue „Lockdown light“ zu einem Alkohol- oder Tabakproblem führen? Dr. med. Reingard Herbst verrät im Interview, worauf Suchtgefährdete jetzt achten müssen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie, vor allem während der ersten Isolationsphase im Frühjahr, warnen Experten vor einem Anstieg des Suchtmittelkonsums. Bei Stress, Sorgen und Langeweile wird oftmals häufiger zu Alkohol und Tabak gegriffen. Könnte der neue Teil-Lockdown im November ähnliche Folgen haben? Suchtexpertin Dr. med. Reingard Herbst, Chefärztin der NESCURE Privatklinik am See, verrät im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news, worauf Suchtgefährdete jetzt achten müssen, um nicht erneut in die Abhängigkeit zu rutschen.

Viele Menschen müssen die meiste Zeit des Teil-Lockdowns zu Hause verbringen. Wie können wir von Langeweile oder Stress getriebene Alkohol- und Zigarettensucht vermeiden?

Dr. med. Reingard Herbst: Sucht zu entwickeln hat auch etwas mit „Struktur verlieren“ zu tun. Deshalb ist es jetzt wichtig, eine Tagesstruktur zu entwickeln, also den Tag zu planen, um den Fokus nicht zu verlieren. Ausserdem hilft es, sich Ziele zu setzen. Zum Beispiel kann es das Ziel sein, gemeinsam alles Notwendige zu tun, damit alle möglichst bald wieder normal leben können. Auch das Gefühl von Selbstwirksamkeit ist wichtig, weshalb es sinnvoll ist, Dinge zu tun, die eine positive Rückmeldung ergeben.

Man kann versuchen, Langeweile als Chance zu sehen, da sie Platz für Kreativität bietet. Es könnten kreative Prozesse in Gang gesetzt werden, für die man sonst keine Zeit hat. Wenn alles gut geplant ist, ist der Stress, den Homeschooling und Homeoffice mit sich bringen, als vorübergehend zu sehen und wird entschärft, wenn er als Herausforderung angenommen wird.

Warum wird in der aktuellen Situation mehr getrunken und geraucht, obwohl der gesellschaftliche Rahmen fehlt?

Herbst: Die Menschen haben zum Teil weniger Ablenkung und kommen mehr zu ihren eigenen Themen, zu ihrer Einsamkeit, zu ihren Problemen, zu ihrer Sinnlosigkeit, zu ihren Sorgen, zu ihren Belastungen, zu ihren Herausforderungen, zu ihrem Kern. Das ist für manche schwer auszuhalten und Alkohol hilft dabei vermeintlich und vorübergehend, all die schweren Anteile des eigenen Lebens leichter zu machen.

Kann der Teil-Lockdown dafür sorgen, dass die Zahl der Abhängigen steigt?

Herbst: Meiner derzeitigen Erfahrung nach ja. Allerdings trifft es auch wiederum vor allem die Menschen, die sich mit den elementaren Themen des eigenen Daseins beschäftigen und hier oft vor ernüchternden Fakten stehen. Dazu gehören auch Ängste ums wirtschaftliche Überleben, um die Familie und die Erfahrung, ein Stück weit machtlos zu sein beziehungsweise sich machtlos gegenüber einer bisher unbekannten Gefahr zu fühlen.

Ist das „Feierabendbier“ schon eine Gefahr, wenn es bei dem einen Bier täglich bleibt?

Herbst: Das „Feierabendbier“ darf gerne eine Belohnung am Ende des Tages sein, wenn es bei dem einen Bier bleibt. Einige Tage kein Bier zu sich zu nehmen und sich dann zu beobachten, ist ein kleiner Test, um zu sehen, wie wichtig dieses Ritual ist und ob es bereits mehr Raum als gewünscht eingenommen hat.

Welche Strategien gibt es, um den Alkohol links liegen zu lassen, wenn man Verlangen verspürt?

Herbst: Strategien gegen den Alkohol sind für Personen, die nicht in Gefahr sind, eine Sucht zu entwickeln, grundsätzlich leichter umzusetzen als für Menschen, denen der Alkohol schon immer näher war. Ablenkung durch Bewegung, möglichst im Freien, durch Hobbys, die vielleicht verschüttet waren, durch Gespräche mit nahestehenden Menschen, durch Achtsamkeitsübungen, die reichlich im Internet nachzulesen sind, durch Entspannungstraining, wie zum Beispiel Yoga, durch Körperberührung (das kann auch eine Dusche sein), durch intensive Reize (gerne auch mittels einer Chilischote im Mund), wären einige Ideen dazu.

An wen können Menschen sich wenden, wenn sie befürchten, zu viel zu rauchen oder zu trinken?

Herbst: Wer Angst hat, zu viel von einem Suchtmittel zu sich zu nehmen und sich beraten lassen will, kann das niedrigschwellig bei den Suchtberatungsstellen der städtischen oder kirchlichen Träger tun. Diese bieten auch telefonische Beratungsstellen, die 24 Stunden zu erreichen sind.

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