Karina Urbach: «Frauen werden häufig nur als Sexfallen dargestellt»

Warum Cambridge nicht nur in der fiktiven Spionagewelt ein Tummelplatz für Geheimdienste ist und wie falsch weibliche Agenten oft dargestellt werden, erklärt die Historikerin und Autorin Karina Urbach.

Cambridge ist ein Ort der Spione – und der Mittelpunkt des Romans „Cambridge 5 – Zeit der Verräter“ (Limes): Geschichtsprofessor Hunt kennt das Spiel dort schon lange. Auch die deutsche Studentin Wera bekommt es mit ihm zu tun. Sie ist fasziniert von der Spionagegruppe der „Cambridge 5“: fünf Studenten, die sich in den 1930er Jahren vom russischen Geheimdienst anheuern liessen und jahrzehntelang erfolgreich Informationen weitergaben. Dann wird Hunt in einen Mordfall verwickelt. Welche Rolle spielt Wera dabei? Unter dem Pseudonym Hannah Coler hat die deutsche Historikerin Karina Urbach den Spionagekrimi verfasst. Sie studierte Geschichte in Cambridge, lehrte an deutschen und britischen Universitäten und war an zahlreichen Dokumentationen des ZDFs und der BBC beteiligt. Im Interview spricht sie über weibliche Spione und James Bond.

Sie haben mit „Cambridge 5“ einen Spionage-Krimi vorgelegt. Was hat Sie zu diesem Roman inspiriert?

Karina Urbach: Ich kam vor zwanzig Jahren als deutsche Studentin nach Cambridge und hörte viele Geschichten über die Spionagegruppe „Cambridge 5“. Es hat mich fasziniert, wie aus diesen idealistischen Studenten über Nacht radikale Fanatiker wurden. Das ist bis heute ein zeitübergreifendes Thema.

Warum gibt es gerade dort – und das bis heute – so einen „nahrhaften Boden“ für Geheimdienste?

Urbach: Im Moment tummeln sich dort vor allem amerikanische, chinesische und russische Geheimdienste, um an neueste Forschung ranzukommen. Ganz ähnlich wie in Silicon Valley. Da Cambridge eine Eliteuniversität ist, rekrutiert hier aber auch der britische Geheimdienst Studenten als zukünftige Mitarbeiter für MI5 und MI6. Und gleichzeitig werden natürlich die politischen Studentenclubs überwacht. Der berühmte Autor John le Carré hatte genau so einen Auftrag als junger Oxfordstudent – linke Studentengruppen zu überwachen.

Ihr Krimi handelt von einem Mordfall in der Gegenwart, erzählt aber auch vom berühmten Agenten Kim Philby und einer Spionagegruppe aus den 70er Jahren. Was ist das Faszinierende an Philby, der ja auch schon häufig als Vorlage für fiktive Spione herangezogen wurde?

Urbach: Ja, über Philbys Verrat kommen die Briten einfach nicht hinweg! Jeder Autor sucht nach einer neuen Antwort – aber Philby bleibt ein Rätsel: Er war ein Mann, der alle Privilegien hatte – gute Familie, gute Schulausbildung, Eliteuniversität. Und dann hintergeht er sein Land und alle seine Freunde, die ihn immer unterstützt haben. In Russland wird er dafür geliebt. In Moskau wurde gerade eine neue Ausstellung über ihn eröffnet.

Wera trifft in Ihrem Roman auf das englische Universitätssystem und den undurchsichtigen Professor Hunt. Auch in der Vergangenheit spielen Frauen eine entscheidende Rolle in Ihrer Geschichte. Finden weibliche Spione bisher zu wenig Anerkennung in der Literatur?

Urbach: Auf jeden Fall! Frauen werden in der Literatur häufig nur als Sexfallen, in der Tradition von Mata Hari etc., dargestellt. Dabei waren sie an wichtigen Operationen im Zweiten Weltkrieg und dann im Kalten Krieg beteiligt. Daphne Park, die in meinem Roman Daphne Parson heisst, war eine dieser Frauen. Sie war keine Mata-Hari-Erscheinung, sondern eher unscheinbar. Aber sie hat im Kongo und Vietnam in den schwierigsten Situationen ausgehalten, während ihre männlichen Kollegen reihenweise Nervenzusammenbrüche erlitten.

Wie aufwendig war die Recherchearbeit für Ihren Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht?

Urbach: Ich hatte grosses Glück. 2015 wurden vom Londoner Nationalarchiv neue Papiere über Kim Philby und seine Wiener Ehefrau Litzi, die ebenfalls für die Sowjetunion spionierte, freigegeben. Und dann gab es 2016 auch noch einen Skandal in Cambridge um eine russische Doktorandin und um russische Gelder, die in eine Vorlesungsreihe geflossen waren. Die Ereignisse zeigten, wie aktuell das Buch ist.

Lesen Sie selbst gerne Spionage-Romane – und was halten Sie von James Bond als berühmtesten fiktiven Spion?

Urbach: James Bond ist natürlich sehr sexy, aber ich mag lieber die etwas gebrochenen Figuren bei John le Carré. Sie zeigen die dunkle Seite der Spionage. Judi Dench als Chefin von James Bond ist allerdings fantastisch. Das authentische Vorbild für ihre Figur war die ehemalige Direktorin von MI5, Stella Rimington. Wieder eine erfolgreiche weibliche Agentin!

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