Star-Mediziner Dietrich Grönemeyer: Das hält er von Globuli

Das Lebensprojekt – und der Titel des neuen Buchs – von Bestsellerautor und Arzt Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer ist Weltmedizin. Im Interview erklärt er, was er von Homöopathie hält und welche Veränderungen er sich wünscht.

Von Yoga, Akupunktur, Ayurveda bis Schamanismus oder Kräuterkunde: Seit Jahrzehnten widmet sich Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer (65) der Frage, wie alternative Heilmethoden die Schulmedizin bereichern können. Der bekannte Arzt ist um die Welt gereist, um mit Heilern und Schamanen zu sprechen. In seinem neuen Buch „Weltmedizin: Auf dem Weg zu einer ganzheitlichen Heilkunst“ (S. Fischer) will er die Leser daran teilhaben lassen und geht darin Fragen nach wie: „Werden Menschen durch Handauflegen gesund?“ Im Interview verrät er, wie für ihn der Arzt der Zukunft aussieht.

Wie weit ist das deutsche Gesundheitssystem noch von dem entfernt, was Sie sich erhoffen?

Dietrich Grönemeyer: Ziemlich weit. Dabei steht ausser Frage, dass unser Gesundheitswesen, rein fachärztlich betrachtet, höchsten Ansprüchen genügt. Es gibt bestens ausgerüstete Kliniken und Praxen, die Technik ist meist auf dem neusten Stand. Herzspezialisten, Augenärzte, Radiologen, Internisten, Operateure, Psychologen und Psychiater – alle Fachdisziplinen sind hoch qualifiziert. Aber allzu oft auch ausschliesslich auf ihre jeweilige Disziplin konzentriert. Wer in einem Bereich exzellent sein will, kann nicht alles überblicken. Was uns fehlt, ist ein stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit des Zusammenwirkens, auch über die Grenzen der Schulmedizin hinaus. Das schulden wir unseren Patienten. In ihrem Interesse müssen wir uns zusammenraufen, Schulmediziner, Psychologen und naturheilkundliche Heiler.

Woran liegt es, dass sich Ihre Kollegen gerade damit schwer tun. Viele, schreiben Sie, würden Sie kritisch beäugen, weil Sie sowohl auf die High-Tech-Medizin als auch auf die Kraft der Naturheilkunde und das überlieferte Heilwissen alter Kulturen setzen. Wie erklären Sie sich dieses Misstrauen?

Grönemeyer: Zum einen fehlt es tatsächlich nicht an Rosstäuschern und Schwindlern, die im Bereich der Alternativ-Medizin ihr Unwesen treiben und Kranke mit esoterischem Humbug davon abhalten, sich in fachärztliche Behandlung zu begeben, auf der anderen Seite wird zu viel operiert und zu wenig die Psyche berücksichtigt. Doch das ist es nicht allein, nicht einmal in erster Linie. Als Schulmediziner haben wir uns in den letzten 100 bis 150 Jahren ganz auf die Seite der Naturwissenschaft geschlagen. Die Erfolge, der Sieg über die Epidemien, die Fortschritte der Radiologie, die grandiosen Möglichkeiten der Transplantationschirurgie und anderes mehr, gaben uns Recht. Sie haben die Schulmedizin in dem Glauben bestärkt, alles irgendwie nach den Gesetzen der Naturwissenschaft richten zu können. Was sich nicht rational erklären liess, galt als Unsinn.

Von diesem Denken wieder abzurücken, braucht Zeit. Nur, was spricht dagegen, auf den Erfahrungsschatz der Naturheilkunde und anderen traditionellen Heilweisen zurückzugreifen und alternative Verfahren anzuwenden, wenn sie helfen? Das wir uns die Wirkungsweise mitunter nicht zu erklären vermögen, die Heiler selbst das nur selten können, ist kein Grund, das erwiesenermassen Hilfreiche zu verdammen.

Sie beschreiben viele Arten von Heilkunst. Sie sind in alle Ecken der Welt gereist, um diese zu studieren. Von Hawaii, bis Sri Lanka über Indien. Welches Erlebnis hat Sie dabei am stärksten berührt?

Grönemeyer: Ja, ich bin viel unterwegs gewesen, aber längst noch nicht in allen Ecken der Welt. Wer könnte das von sich behaupten? Doch wo immer ich war, habe ich Überraschendes erlebt, Erfahrungen gemacht, die beeindruckten. Deshalb fällt es mir schwer, etwas zu nennen, das mich besonders berührte. War es die Begegnung mit einem Schamanen auf Hawaii, waren es meine Gespräche mit dem Dalai Lama? Ich kann es nicht sagen. Es war wohl alles zusammen, das Erlebnis einer Weltmedizin, die bei aller Vielgestaltigkeit doch auch sehr viele Ähnlichkeiten aufweist. Das gilt vor allem für das humanistische Grundverständnis, für die Überzeugung, dass dem Menschen nur zu helfen ist, wenn man ihn ganzheitlich betrachtet, als das Zusammenwirken von Körper, Seele und Geist. Auf dieser Grundlage haben die alten Ägypter, die Griechen und die Römer ebenso behandelt wie die Chinesen, die Inder und Tibeter oder die Medizinmänner der Indianer – und nicht zu vergessen die Hausärzte alter Schule.

In vielen traditionellen Heilkünsten spielen Bewegung und Meditation eine grosse Rolle. Ist es eine Folge davon, dass in der westlichen Welt dieser ganzheitliche Ansatz wenig verfolgt wird, dass Rückenleiden oder Depressionen so stark zunehmen?

Grönemeyer: Der Rücken ist ein Teil unseres Körpers, der besonders sensibel auf psychische Belastungen reagiert, ebenso wie auf muskuläre Verspannungen. Zu wenig Bewegung schadet immer mehr als zu viel. Den Mangel an körperlicher Anstrengung, wie sie sich in früheren Epochen alltäglich ergab, müssen wir heute sportlich ausgleichen. Zugleich leben wir aber auch sehr viel hektischer als unsere Vorfahren, weshalb wir oftmals besonderer Therapien bedürfen, um wieder zur Ruhe zu kommen und seelische Verspannungen zu lösen, die wir eben nicht zuletzt im Rücken zu spüren bekommen. Psychopharmaka mögen da von Fall zu Fall helfen. Der Königsweg zu einem ausgeglichenen Leben sind sie nicht. Da waren die Inder oder die Mönche in den christlichen Klöstern des Mittelalters mit ihren Meditationsübungen schon weiter. Abermals etwas, das verdeutlichen mag, wie wir alle von einer Synthese der Weltmedizin profitieren würden.

Sie erklären auch, wie vielfältig Pflanzen bei Erkrankungen helfen. Was halten Sie davon, dass Globuli offenbar immer beliebter werden?

Grönemeyer: Ich bin da vorsichtig, obwohl ich das Prinzip der Homöopathie, Gleiches mit Gleichem zu behandeln, sehr interessant finde. Schon in den alten Kulturen wurde nach diesem Prinzip behandelt, brennender Muskelschmerz z.B. mit heissem Wasser oder Chili- oder Pfeffersalben. Ich bin Fan davon und nutze dieses Prinzip routinemässig bei der Behandlung von Rückenschmerzen. Heisse Duschen, wärmende Wannenbäder, Wickel-, Pflaster- oder Salbenanwendungen. Ob Globuli wie Placebos wirken oder eine spezifische medizinische Wirkung haben, ist bis heute noch nicht wissenschaftlich bewiesen. Sie helfen nicht selten dem, der daran glaubt. Aber das immerhin. Problematisch wird es, wenn sie bei ernsten Erkrankungen anstatt ärztlich verordneter Medikamente eingenommen werden. Wer dazu rät, handelt unverantwortlich.

Psychische und körperliche Leiden werden bei uns meist getrennt voneinander behandelt. In Deutschland sprechen Patienten zudem im Schnitt nur wenige Minuten bei einem Arzttermin mit ihrem Arzt. Was sind die Folgen?

Grönemeyer: Schlimmstenfalls Fehldiagnosen. Bleiben wir bei dem Beispiel des Rückens. Wie ich schon sagte, kann er schmerzen, ohne dass eine körperliche Ursache vorliegt, etwa ein Bandscheibenvorfall oder ein eingeklemmter Nerv. Sorgen, Stress, Ängste können ebenso Auslöser gewesen sein. Wie aber soll der Arzt das herausfinden, wenn die Zeit der Konsultation nicht ausreicht, ausführlicher mit dem Patienten zu sprechen, sich auf ihn einzulassen? Wenn der Patient nicht mehr dazu kommt, seine Situation zu erklären? Verursacht werden diese Zustände aber nicht primär durch die Ärzte, sondern durch ein Gesundheitssystem, das generell zu wenig Wert auf die sprechende Medizin legt, weil es eben nicht mehr davon ausgeht, dass sich das Wohlbefinden des Menschen aus dem Zusammenwirken von Körper, Geist und sozialem Miteinander ergibt. Der Mensch ist auch ein spirituelles Wesen. Stattdessen wird er als eine Verknüpfung von Organen betrachtet, die es zu reparieren gilt. Der humane Ansatz der Humanmedizin bleibt auf der Strecke. Auf dem weiten Feld der Weltmedizin war das über die Jahrtausende hin undenkbar.

Patienten überlassen sich meist völlig dem Mediziner. Was müsste sich auf Patientenseite ändern?

Grönemeyer: Die Patienten tun das, weil sie sich selbst sozusagen auch als Maschine begreifen. So haben wir das gelernt. Wir übergeben unseren Körper dem Arzt, damit er ihn instand setzt. Für unsere Gesundheit fühlen wir uns persönlich nicht mehr verantwortlich. Fachleute sollen das in die Hand nehmen und die Gesellschaft die Kosten tragen. Das ist die Kehrseite eines Gesundheitssystems, das rundum für unsere ärztliche Versorgung aufkommt. Indem wir die Selbstverantwortung abwälzen, laufen wir aber Gefahr, das System zu überfordern, materiell und personell. Deshalb fordere ich ja seit langem die Einführung des Gesundheitsunterrichtes als Fach in den Schulen. Als Patienten müssen wir wieder lernen, für uns einzustehen. Das hat schon Paracelsus gewusst, als er sagte, wir selbst seien unsere Therapeuten, die Ärzte könnten uns nur helfen.

Wie sieht für Sie der Arzt der Zukunft aus?

Grönemeyer: Auf jeden Fall sollte er offen sein für alles, was heilt, egal, auf welche Kulturen und Epochen die Behandlungsmethoden zurückgehen mögen. Er muss ein undogmatischer Netzwerker sein, der mit anderen Therapeuten und Fachdisziplinen solidarisch zusammenarbeitet. Und vor allem muss er versuchen, die Menschen zu verstehen und ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren. „So wenig wie möglich, so viel wie gerade nötig“ sollte die medizinische Devise sein. Er sollte nicht im Dienst irgendeiner Schule stehen, sondern sich auf jeden Fall individuell und persönlich einlassen. Dazu verpflichtet uns der Hippokratische Eid. Worum es mir letztlich geht: die Sprachlosigkeit zwischen den verschiedenen Ebenen zu überwinden. Gemeinsames Handeln ist überfällig. Mein Wunsch seit langer Zeit ist: eine Kultur- und Fächer-übergreifende humane Weltmedizin.

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