Harvey Weinstein und die versaute Welt von Hollywood

Wie der Sexskandal um Filmmogul Harvey Weinstein die Fundamente der mächtigsten Filmmetropole der Welt erschüttert.

Hollywood, diese legendäre Ansammlung von Traumfabriken im Sonnenstaat Kalifornien, gilt nicht als unbedingt erdbebensicher. Gelegentliche Erdstösse nimmt man mit routinierter Gelassenheit hin. Doch die Erschütterungen der jüngsten Zeit lassen die stärksten Fundamente der Stadt erzittern. Es geht um ihr Image: Ist Hollywood nun das sagenumwobene Mekka der Filmkunst oder doch nur das durch und durch versaute Zentrum einer wertfreien Halbwelt?

Der mächtigste Mann von Hollywood?

Harvey Weinstein (65) ist Filmproduzent in Hollywood, vermutlich sogar der wichtigste und mächtigste in der wichtigsten Filmmetropole der Welt. Mit seinem Bruder Bob Weinstein (62) hat er die Produktionsfirma Miramax und danach die Weinstein Company gegründet. Die Weinsteins brachten Filmhits wie „Chicago“, „Shakespeare in Love“, „Der englische Patient“, „Scary Movie“ oder „Gangs of New York“ in die Kinos. Sechs Mal holten Weinstein-Produktionen den Oscar. Soweit die Haben-Seite des Harvey Weinstein…

Die Soll-Seite sieht ungleich finsterer aus: Harvey Weinstein, ein schwergewichtiger Fleischberg, der 2000 nur knapp einen Herzinfarkt überlebte, soll jahrzehntelang Starlets, Models und Schauspielerinnen sexuell missbraucht haben. Das allein zählt in Hollywood nicht gleich zu den Eilmeldungen, sondern wird üblicherweise mit routinierter Gelassenheit in die Kategorie „Besetzungscouch des Produzenten“ eingeordnet.

Die Sprengkraft des Weinstein-Skandals liegt in dem bösen Verdacht, dass halb Hollywood über Jahre hinweg davon gewusst – und nichts unternommen haben soll. Auch die grossen Stars sollen geschwiegen und die Sexgelüste des grossen Harvey Weinstein als naturgegeben hingenommen haben.

„Jetzt, wo ich weiss, dass die Gerüchte wahr sind“

Schauspielerin Glenn Close (70, „Eine verhängnisvolle Affäre“) sagte in der „New York Times“ reumütig: „Ja, ich kannte die Gerüchte, dass Harvey Weinstein die Gewohnheit hatte, sich gegenüber Frauen ungebührlich zu verhalten. Mir gegenüber ist so etwas nie passiert, aber jetzt, wo ich weiss, dass die Gerüchte wahr sind, bin ich sauer und sehr, sehr traurig.“

Ihr Kollege George Clooney (56) meinte in einem Interview mit „The Daily Beast“: „In den 90ern gab es Gerüchte, dass Schauspielerinnen mit Harvey geschlafen hatten, um Rollen zu bekommen. Ich dachte immer, das würden die Leute nur sagen, um anzudeuten, dass die Damen die Jobs nicht wegen ihres Talents bekommen hatten und habe sie also nicht allzu ernst genommen. Aber, dass acht Frauen Schweigegeld bekommen haben, habe ich noch nie gehört. Ich kenne auch niemanden, der das wusste.“

Oscar-Preisträgerin Meryl Streep (68) hatte Weinstein bei den Golden Globes 2012 noch als „Gott“ bezeichnet. Nun sagte sie in einem Statement: „Eines sollte klargestellt werden: Nicht jeder wusste es. […] Ich wusste nichts über diese anderen Straftaten: Ich wusste nichts von diesen Schweigegeldern für Schauspielerinnen und Kolleginnen; ich wusste nichts von seinen Meetings in seinen Hotelzimmern, seinen Badezimmern oder andere unangebrachte Handlungen. Falls es alle gewusst hätten, glaube ich nicht, dass die investigativen Reporter in der Unterhaltungsbranche und den harten Nachrichtenmedien es seit Jahrzehnten vernachlässigt hätten, darüber zu schreiben.“

Eine Journalistin sieht das anders

Dem widerspricht zumindest die Journalistin Sharon Waxman. 2004 habe sie für die „New York Times“ an einer solchen Geschichte über Harvey Weinstein gearbeitet. Er soll von 2003 bis 2004 den Italiener Fabrizio Lombardo beschäftigt haben – um ihm Frauen zu besorgen. Dafür habe er 400.000 Dollar im Jahr gezahlt bekommen, „um Abende mit russischen Prostituierten zu organisieren“. Ausserdem habe sie eine Frau in London gefunden, die Weinstein missbraucht und ausgezahlt haben soll. „Sie hatte riesige Angst etwas zu sagen, weil sie einen Geheimhaltungsvertrag unterschrieben hatte, aber es war ein Beweis dafür, dass er Frauen Schweigegeld zahlte.“

Die „New York Times“ soll die Story nie veröffentlicht haben, so Waxman. Weinstein habe grossen Druck ausgeübt. Sie habe sogar persönliche Anrufe von Matt Damon und Russell Crowe bekommen, die sich für Lombardo verbürgten. Und Weinstein sprach mit ihren Vorgesetzten. Damon bestreitete die Vorwürfe im Interview mit „Deadline“ bereits vehement. Der Schauspieler hat Weinstein seine Karriere zu verdanken. 1997 finanzierte der ihm seinen ersten Film „Good Will Hunting“. Und Russell Crowe stand für den Weinstein-Film „Master & Commander – Bis ans Ende der Welt“ vor der Kamera.

Immer neue Vorwürfe

Nun beschuldigen immer mehr Stars Weinstein, unter anderem auch Gwyneth Paltrow (45), die 1998 mit dem von Weinstein produzierten „Shakespeare in Love“ einen Oscar gewann. Angelina Jolie (42), die nach einem Annäherungsversuch von Weinstein beschloss, nie wieder mit ihm zu arbeiten, will sogar junge Kolleginnen vor dem Produzenten gewarnt haben, wie sie in einer E-Mail an die „New York Times“ erklärt.

Der Autor Ronan Farrow (29), der Sohn von Regisseur Woody Allen (81) und Schauspielerin Mia Farrow (72), recherchierte zehn Monate lang einen Bericht über Harvey Weinstein für das Magazin „New Yorker“. Dabei stiess er auch auf eine Tonaufnahme der New Yorker Polizei, die ein Model 2015 mit einem versteckten Mikrofon ausgestattet hatte. Darauf gibt ein Mann, bei dem es sich um Weinstein handeln soll, quasi offen zu, dass er daran „gewöhnt“ sei, Frauen zu belästigen. Die Justiz sah jedoch von einem Verfahren ab.

Für Farrow ist Weinsteins Umgang mit Frauen „ein offenes Geheimnis in Hollywood und darüber hinaus“, schreibt er. Diese „Kultur der Komplizenschaft“ habe in Weinsteins Unternehmen begonnen: Mehr als ein Dutzend Ex-Mitarbeiter bestätigten demnach, es sei „weithin bekannt“ gewesen, dass der Chef regelmässig Frauen belästige.

Arbeitstreffen seien oft nur „Vorwände für sexuelle Angriffe auf junge Schauspielerinnen und Models“ gewesen, heisst es in dem Artikel. „Zahlreiche Leute in den Firmen waren sich seines Verhaltens voll bewusst, leisteten aber Beihilfe oder schauten weg.“ Das sei über das Schweigegeld hinausgegangen, das viele Frauen bekommen hätten: Immer wieder seien auch weibliche Angestellte an Weinsteins „Tricks“ beteiligt worden, „damit sich die Opfer sicher fühlten“.

„Koksbesessene Sexualmaniker“

In einem Essay für die „New York Times“ schreibt die Schauspielerin Lena Dunham (31, „Girls“), Weinsteins Belästigungen seien „über Jahrzehnte hinweg von Angestellten und Kollaborateuren schweigend abgesegnet“ worden und „ein Mikrokosmos dafür, was seit jeher in Hollywood geschieht“.

Seit Jahrzehnten? Anfang des 20. Jahrhunderts beschrieb der britische Schwarzmagier Aleister Crowley (1875-1947) die Mächtigen von Hollywood als eine „Filmbande von koksbesessenen Sexualmanikern“. Und die Film-Ikone Marilyn Monroe (1926-1962) sagte über eine Sinnentleerung der Stadt: „In Hollywood gibt es weder Museen noch Denkmäler. Niemand lässt etwas zurück. Sie kommen, raffen Geld zusammen und laufen Hals über Kopf davon.“ Auch Harvey Weinstein hat derweil das Weite gesucht. Er will sich in Europa die Sexsucht therapeutisch austreiben lassen.

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