The Novelist: Ein Kompromiss in Reinform

Gedankenfetzen, Erinnerungen, Briefe, Notizen. Dazu dezente Pianoklänge. Eine Stimme erzählt von inneren Zwisten, von Ängsten und Hoffnungen. The Novelist ist ein weiteres Werk in der neuen Strömung erzählzentrierter Videospiele. Das Spiel von Kent Hudson macht dabei den Kompromiss zum Thema. Nicht nur inhaltlich, sondern auch bei der Umsetzung.

Hudson ist kein unbeschriebenes Blatt. Seine von ihm mitentwickelten Spielen, zum Beispiel Bioshock 2, sprechen die Sprache des Pomps. The Novelist hingegen ist minimalistisch und reduziert. Es ist ein Spiel der leisen Klänge, ein Spiel, dem die subtilen Zwischentöne wichtig sind. Zumindest in der Theorie.

Familiengeschichten

In The Novelist schauen wir in das Leben der Familie Kaplan. Eine Familie die, wie die meisten, nicht ohne ihre Probleme auskommt. Dan ist eigentlich Schriftsteller und hat mit einer Schreibblockade zu kämpfen, Linda sorgt sich um einen unerfüllten Wunsch und Tommy, ihr Sohn, wird in der Schule gemobbt und bleibt hinter seinen Mitschülern zurück. In einem Sommerhaus wollen die Kaplans in sich kehren und an ihren Beziehungen arbeiten. Die Ehe von Dan und Linda bröckelt und Tommy merkt das, kriegt die Probleme seiner Eltern mit und hat gleichzeitig seine eigenen.

Doch da ist noch jemand im Haus – wir. Wir spielen die Rolle einer unbekannten Entität. Im Verlaufe des Spiels wird suggeriert, wir seien ein Geist oder etwas anderes Übernatürliches. Und wir haben die Macht, die Dinge zu verändern. Wir sind nämlich praktisch unsichtbar, unhörbar und können überdies Gedanken lesen und in Erinnerungen anderer Personen eintauchen. Verstehen wir die Beweggründe, können wir unseren selbsterkorenen Schützlingen vielleicht dabei helfen, die richtigen Entscheidungen und Kompromisse zu treffen. Problemlos funktioniert dieses Konzept nicht.

Entscheidungsgewalt

Es ist in der Folge unsere Aufgabe in drei Monaten das Schicksal der Familie in seine Bahnen zu lenken. Diese drei Monate sind unterteilt in jeweils vier Wochen. Jede Woche gilt es, als Geist durch das Haus zu spuken und eine bestimmte Anzahl von Hinweisen und Erinnerungen unserer Protagonisten zu entdecken. Haben wir alle gefunden, können wir uns entscheiden, welchen Weg wir der Familie empfehlen. Mal sind es einfache Entscheide, mal sind es Lösungen, bei denen man minutenlang vor dem Bildschirm sitzt und verzweifelt. Haben wir uns während unserer Recherche jeweils nicht erwischen lassen, steht uns auch immer ein Kompromiss offen. Allerdings nur ein Kompromiss zwischen zwei Entscheiden. Mindestens eine Person geht immer leer aus. Dort liegt die grosse Qualität von The Novelist.

Denn kaum ein Spieler wird nicht versuchen, sich in die Lage der Familie zu versetzen. Dan Pinchbeck vom Studio The Chinese Room sieht darin die Gegenform physischer Interaktion in Spielen, nämlich die innerliche. Das, was zwischen dem Spiel und dem Spieler passiert. Das funktioniert bei Entscheidungen hervorragend, besonders, weil viele der Situationen sehr universal sind. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sich diese Universalität in Stereotypen audrückt. Weder Linda, Tommy, noch Dan sind mehr als zufällige Attributbündel und sowohl deren Voice-Acting als auch deren Writing wirkt öfters kalkuliert und gar nicht so subtil, wie es zuerst den Anschein macht. Dies ganz im Gegensatz zu den dreidimensionalen Charakteren der Familie Greenbriar aus dem The Novelist nicht unähnlichen Gone Home. Dennoch ist es interessant das Spannungsfeld zwischen Individuum und der von einer erwarteten Rolle zu ergründen.

Fazit

The Novelist ist ein Indie Spiel. Dennoch ist es unverkennbar, dass dahinter ein Entwickler steht, der jahrelange Erfahrung im Triple-A-Geschäft mit sich bringt. Dort, wo Gone Home dem Spieler die vollkommene Erkundungs- und Interpretationsfreiheit gelassen wird, reguliert sich The Novelist mit mechanischen Beschränkungen. Wer nicht alle drei Hinweise plus drei Erinnerungen gefunden hat, kommt nicht weiter. Das Sommerhaus ist zudem nicht organisch und lebendig. Es wirkt künstlich, klinisch sogar, und die zu untersuchenden Notizen – also das Vehikel für das Storytelling – wiederholen sich schnell. Zwar wartet The Novelist hin und wieder mit glänzenden Momenten auf, ist sonst aber mehr style over substance. Wie im Spiel geht Hudson dabei den Kompromiss ein. Er opfert die Zwischentöne, das organische Spielgefühl und die Komplexität der Zugänglichkeit und Ästhetik.

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