Gisela Getty: So viel Wahrheit steckt in „Alles Geld der Welt“

Am heutigen Donnerstag startet Ridley Scotts neuer Film „Alles Geld der Welt“ in den Kinos. Gisela Getty erlebte die Entführung ihres späteren Ehemannes John Paul Getty III. damals hautnah mit. Im Interview schildert sie ihre Erinnerungen an den verhängnisvollen Sommer 1973.

Rom im Juli 1973: John Paul Getty III (1956-2011), der Enkel des damals reichsten Mannes der Welt, wird entführt. Kurz vorher hatte der „Goldene Hippie“ seine spätere Ehefrau Gisela Getty (68), damals Zacher, und ihre Zwillingsschwester Jutta Winkelmann (1949-2017) kennen gelernt. Die Geschichte von Paul Gettys Entführung gibt es ab heute im Film „Alles Geld der Welt“ im Kino zu sehen. Ausserdem erschien am 5. Februar 2018 Gisela Gettys Buch „Kidnapping Paul. Die Geschichte einer Entführung“. Im Interview verrät die 68er-Ikone, wie sie die Zeit und die Entführung ihres späteren Mannes damals erlebte.

Wie haben Sie Ihren Ex-Mann John Paul Getty III. im Frühjahr 1973 kennengelernt?

Gisela Getty: Ich war mit meiner Zwillingsschwester damals in Rom. Es war der Sommer der Liebe. Paul hörte von diesen Zwillingen und wollte uns gern kennenlernen. Gemeinsame Freunde haben dann ein Treffen in einer Künstler-Trattoria organisiert.

Haben Sie sich sofort verliebt?

Getty: Es gab gleich ein Erkennen zwischen uns. Paul sah wunderschön aus mit seinen kupferfarbenen Locken und irgendwie erkannten wir sofort, dass wir zusammengehören. Man kann das auch verliebt nennen, aber ich glaube, wir haben uns immer gesucht und gefunden.

Was war Paul Getty damals für ein Mensch?

Getty: Paul war wie wir. Die 1960er Jahre waren eine Zeit der extremen Suche. Das war unsere Verbindung zu Paul. Wir waren auf der Suche nach Selbstverwirklichung, nach einer neuen Welt, Liebe. Unsere Generation hatte den Slogan „Make Love Not War“. Uns hat das sehr eng zusammengebracht, weil wir diese gemeinsame Vision hatten.

Wie haben Sie die Familie Getty wahrgenommen?

Getty: Ich hatte gar keine Verbindung zu der Familie. Nur ganz am Anfang der Entführung, als er verschwand, hatte ich Kontakt mit der Mutter. Der Vater lebte in London und hatte keinen Kontakt mit Paul. Wir lebten in diesen Communitys mit unseren Freunden, wir teilten diese Vision einer neuen Welt. Und Familie und alles, was dazugehört, gehörte zur alten Welt. Als wir Paul trafen, war er schon von seiner Familie weggegangen und lebte in einer Wohngemeinschaft. Er hat schon sehr früh klar gemacht, dass er das Erbe der Familie Getty nicht antreten möchte, sondern ganz anders leben will. Paul war rückblickend gesagt ein sehr selbstzerstörerischer, extremer Sucher.

Sie haben Paul Getty kurz vor seiner Entführung kennengelernt. Wie sehr hat ihn dieses Erlebnis verändert?

Getty: Das war eine einschneidende Geschichte, die unser aller Leben verändert hat. Davor war es leicht und voller Hoffnung. Die Entführung war wie eine grosse Zäsur und der Sommer der Liebe war für uns zu Ende. Paul wirkte erst sehr stark, obwohl er extrem gefoltert worden war. Aber später wurde er immer mehr von Drogen abhängig. Er ist ein Junkie geworden. Er konnte und wollte sich nicht mehr wirklich in die Welt integrieren.

Ihre Zwillingsschwester Jutta Winkelmann und Sie wurden damals auch verdächtigt, die Entführung mitinszeniert zu haben. Wie kam es dazu?

Getty: Die Polizei hat in Pauls ganzem Umfeld gesucht und mitbekommen, dass wir in Deutschland der linken Szene angehörten. Daraus schlossen sie, dass wir Paul entführt haben könnten, um dadurch der RAF Geld für Waffen beschaffen zu können. Wir wurden Stressverhören unterzogen. Es kam aber relativ schnell heraus, dass der Verdacht nicht der Wahrheit entsprach.

Wie sind Sie damals mit den Ereignissen umgegangen?

Getty: Wir alle hatten erst gedacht, dass Paul die Entführung mitarrangiert haben könnte. Es gab diese Hoffnung, dass alles noch gut ausgeht. Aber je länger es dauerte, umso mehr Angst hatten wir auch. Wir wussten immer, dass Paul lebt. Wenn man ihn gefunden hätte, wäre das schnell bekannt geworden. Es war ein Hoffen und Bangen und dann am Schluss – weil es sehr lange gedauert hat – einfach ein alptraumartiges Geschehen. Der Grossvater zahlte nicht und das mündete darin, dass man ihm das Ohr abschnitt.

Wie haben Sie davon erfahren?

Getty: Ich sass gerade am Bahnhof, wollte nach Deutschland fahren und meine Eltern besuchen. Ganz kurz, denn wir sollten ja das Land und Rom eigentlich nicht verlassen, weil wir immer noch unter Verdacht standen. Aber ich durfte ein paar Tage weg und dann sah ich das völlig unvorbereitet in Zeitung. Ich habe dann sofort meine Schwester angerufen, der Zug fuhr vorbei. Zuhause haben Jutta und ich uns darüber unterhalten, was für ein Wahnsinn das ist. Die Entführer drohten ja weiterhin, dass sie noch mehr Körperteile abschneiden würden. Und ich bin auch davon überzeugt, dass sie das gemacht hätten.

Sie haben „Alles Geld der Welt“ bereits gesehen. Der Film ist lediglich inspiriert von der wahren Geschichte und keine Dokumentation. Wie bewerten Sie die Änderungen, die Regisseur Ridley Scott vorgenommen hat?

Getty: Ich denke, dass ein Regisseur, der ja auch ein Künstler ist und eine Vision hat, immer auch seine künstlerische Freiheit haben muss. Denn wenn wir als Künstler keine künstlerische Freiheit haben, dann können wir auch keine Geschichten mehr erzählen. Und wer kennt schon die Wahrheit? Jeder Regisseur wird nur seine Interpretation erzählen. Es wird auch noch eine Fernsehserie von Danny Boyle geben, die sicherlich sehr anders ist. Jeder sucht sich einen Ausschnitt aus und erzählt das, was ihn interessiert. Ich glaube, dass Ridley Scott sehr am Kampf der Mutter und an der Machtstruktur in diesen Dynastien interessiert war.

Aber verfälscht der Film Ihrer Meinung nach die Tatsachen?

Getty: Das Ende ist ein Fantasieende, aber vielleicht tiefenpsychologisch gar nicht so falsch. Das ist eben Scotts Auswahl, seine Sicht der Dinge und das finde ich okay.

Wie fühlt es sich für Sie an, das alles jetzt nochmal als Film zu erleben?

Getty: Ich kannte schon das Buch von John Pearson, auf dem „Alles Geld der Welt“ basiert. Der Film erzählt nicht meine Geschichte. Es ist die Geschichte der Mutter, aus ihrem Blickwinkel. Paul kommt letztlich als Charakter nicht vor – nur eben als Junge, der in der Ecke sitzt und weint. Der Film lebt von der Dynamik zwischen dem Grossvater, der kein Geld geben will, also nicht lieben kann, der Mutter, die verzweifelt um ihren Sohn kämpft, und der Mafia. Es ist ein Familien-Mafia-Film. Aber meine Schwester und ich haben das anders erlebt und das erzählt unser Buch, das Anfang Februar erschienen ist.

Es heisst „Kidnapping Paul – Die Geschichte einer Entführung“. Wie unterscheidet es sich vom Kinofilm?

Getty: Es ist eine weibliche Geschichtsschreibung, die in solchen Filmen eher unsichtbar bleibt. Es ist alles männlich gespielt, männlich erzählt. Unser Buch ist die unsichtbare wirkliche Geschichte durch die Augen dieser beiden Mädchen, die das alles erlebt haben.

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