Herr Wenders, ist Smalltalk mit dem Papst möglich?

Kann man mit dem Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche Smalltalk führen? Wie Regisseur Wim Wenders Papst Franziskus bei den Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm erlebt hat, verrät er im Interview.

Für seinen Dokumentarfilm „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“, der am 14. Juni in den Kinos anläuft, durfte der deutsche Regisseur Wim Wenders (72, „Buena Vista Social Club“) das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche interviewen. Papst Franziskus (81) wurde am 13. März 2013 zum 266. Bischof von Rom gewählt. Er ist der erste lateinamerikanische Papst und der erste im Amt, der dem Orden der Jesuiten angehört. Er gilt als „Medien-Papst“, als einer, der die Kirche verändern kann.

In der Dokumentation werden Themen wie Armut, die Flüchtlingskrise, Homosexualität, der Missbrauchsskandal in der Kirche, Umweltschutz, Waffengewalt und die Wegwerfkultur aufgegriffen. Es fallen Sätze wie, „Wir dürfen das Zuhören nicht verlernen“, „Wir müssen die Frauen integrieren“ und seine klare Haltung – „null Toleranz“ – gegenüber Pädophilie. Im Interview beschreibt Wim Wenders seinen persönlichen Eindruck vom gebürtigen Argentinier, wie aufgeregt er vor dem ersten Treffen war und ob der Papst mit seiner Filmografie vertraut war.

Herr Wenders, können Sie kurz Ihr erstes Treffen mit Papst Franziskus schildern? Waren Sie nervös?

Wim Wenders: In der Tat, vor dem ersten Mal war ich etwas aufgeregt. Zum Beispiel habe ich mir echt Sorgen gemacht, ob mein Spanisch reicht. Das habe ich vorher noch ganz schön auffrischen müssen. Und ich wusste ja auch nicht, ob und wie er sich auf meine Ideen einlässt. Ich hatte ja kein „normales Interview“ vor… Wir standen also alle mit klopfendem Herzen da: Gleich drehen wir mit dem Papst! Ich habe auch allen eingeschärft: Wenn wir irgendwelche Fehler machen, kann ich ihn nicht bitten, etwas nochmal zu sagen. Wir werden ihm auch kein Mikrophon anstecken und ihn auch nicht schminken. Er ist nicht der Schauspieler seiner selbst. Aber dann hat Papst Franziskus schon gleich mit seinem Auftritt klargestellt: Ihr müsst euch meinetwegen keine Sorgen machen. Er hat jeden einzelnen begrüsst, angefangen bei den Beleuchtern, jeder hat sich mit seinem Namen vorgestellt, Franziskus hat jedem dieselbe Zeit gegeben, mit jedem ein paar Worte gewechselt. Da war uns klar: Der macht keine Unterschiede zwischen Menschen, der ist einfach voll in Ordnung!

In Ihrer Dokumentation gibt es eine Szene, in der ein Mädchen nicht weiss, ob sie Franziskus mit „du“ oder „Sie“ anreden soll. Wie haben Sie ihn angesprochen?

Wenders: Während die Kleine sich für „Du“ entschieden hat, habe ich ihn gesiezt. Und ihn mit „Santo Padre“ angesprochen.

War der Papst mit Ihren filmischen Werken vertraut? Hat er vielleicht sogar einen Lieblingsfilm von Ihnen?

Wenders: (lacht) Im Gegenteil: Filme sind nicht so seine Sache, glaube ich. Das erste, was er mir sagte, war, dass er viel von mir gehört habe, aber ich solle doch wissen, dass er keinen meiner Filme kenne. Die Anregung für dieses Projekt, der Brief an mich mit der Frage, ob mich ein Film über den Papst interessieren könne, kam deswegen auch vom Präfekten der Kommunikationsabteilung, der allerdings ein richtiger Cineast war, Film studiert und auch Bücher darüber geschrieben hatte.

Franziskus wurde schon als „Medien-Papst“ bezeichnet. Er wirkt keineswegs kamerascheu. Wie haben Sie ihn während der Dreharbeiten erlebt?

Wenders: Sehr offen, sehr spontan, direkt. Wir haben an vier Nachmittagen mit dem Papst gedreht, jeweils gut zwei Stunden lang. Papst Franziskus ist ein höchst kommunikativer Mensch, mit einer grossen Herzlichkeit. Wie er auf die Menschen zugeht und in sehr einfache Worte fasst, was er vertritt, wie er das lebt, was er predigt, das ist ein ganz neuer Wind, der da aus dem Vatikan weht, ein „franziskanischer Wind“.

Sie haben dem Papst für Ihre Dokumentation etwas mehr als 50 Fragen gestellt, zu universellen Themen. Ist er auch jemand, mit dem man klassischen Smalltalk führen kann?

Wenders: Oh je, da fragen Sie den falschen Mann. Smalltalk ist auch nicht meine Stärke. Insofern konnte ich Papst Franziskus diesbezüglich nicht auf die Probe stellen. Aber dafür hat er die anderen Fragen umso vorbehaltloser beantwortet.

Wie hat sich Ihr persönlicher Eindruck von Papst Franziskus durch dieses Filmprojekt verändert?

Wenders: Wie Millionen anderer Menschen habe ich Papst Franziskus am Tag seiner Wahl zum ersten Mal gesehen, im Fernsehen. Noch bevor man ihn als Person zu Gesicht bekam, auf dem Balkon des Petersdomes, wurde verkündet, dass der neue Papst den Namen Franziskus angenommen hätte. Da war ich echt von den Socken. Das hatte sich noch kein Papst vorher getraut, den Namen des Heiligen Franz von Assisi anzunehmen! Das war einer der grössten Reformer der Kirche und ein echter Revolutionär in der Geschichte der Menschheit. Ich dachte, noch bevor ich ihn dann sah: dieser Mann hat Mut! Wenn er sich diesen Namen zutraut, und das Erbe, das damit einhergeht, dann können wir einiges erwarten. Dieser allererste Eindruck hat sich über die acht Stunden, die wir Auge in Auge waren, und über die vielen Hundert Stunden Filmmaterial, die ich von ihm gesichtet habe, dahingegen vertieft, dass ich Papst Franziskus nicht nur mutig nennen würde, sondern von einer ansteckend optimistischen Furchtlosigkeit. So einen Mann habe ich noch nie kennengelernt.

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