„Green Book“: Schreibt das Leben die schönsten Drehbücher?

Schnappt sich „Green Book“ in knapp einem Monat den Oscar als „Bester Film“? Verdient wäre es dank der ebenfalls nominierten Darsteller Viggo Mortensen und Mahershala Ali allemal.

Ein möglichst ungleiches Duo in einer möglichst verzwickten Situation – fertig ist das simple Rezept für eine schmackhafte Buddy-Komödie. „Green Book“ (ab 31. Januar im Kino) von Regisseur Peter Farrelly (62, „King Pin“) fügt dieser Basis aber noch Zutaten wie Sozialkritik, Drama sowie zwei herausragende Darsteller hinzu und schmeckt das Ganze mit einer ordentlichen, aber nicht überreichlichen Prise Kitsch ab. Et voilà, ein Oscar-Anwärter!

Ein Reiseführer durch den Rassismus

Der Italo-Amerikaner Tony Vallelonga alias Tony Lip (Viggo Mortensen, 60) stammt aus ärmlichen Verhältnissen und lebt schon sein gesamtes Leben in der Bronx. Sein Hang, schnell und gerne die Fäuste sprechen zu lassen, hat ihn zum Ärger seiner Frau Dolores (Linda Cardellini, 43) schon viele Jobs gekostet – ausgerechnet einen besonders lukrativen bekommt er aber gerade deswegen: Der afro-amerikanische Musiker Don Shirley (Mahershala Ali, 44) hat eine Reise durch den Süden der USA vor. Im Jahr 1962 kein ungefährliches Unterfangen.

Halb als Chauffeur, halb als Personenschützer engagiert Shirley daher den ungebildeten Gelegenheits-Gauner, der selbst so seine lieben Probleme mit rassistischen Vorurteilen hat. Doch trennt die ungleichen Charaktere zu Beginn der Reise noch tiefer Argwohn gegenüber dem jeweils anderen, lernen sie einander im Laufe ihres Trips mehr und mehr zu schätzen. Denn ausgerechnet der immer heftigere Rassismus, der ihnen entgegenschlägt, schweisst sie enger zusammen.

Freundschaft kennt keinen Bildungsstand

Der eine ein hochgebildetes Musikgenie, der andere ein Lebenskünstler mit einem Magen so gross wie seine Bildungslücken, sich voller Stolz als „Shit Talker“ rühmend. Wenn in einem so engen filmischen Raum wie einem Auto derartig unterschiedliche Menschenschläge und Kulturen aufeinandertreffen, bietet das unweigerlich interessante Situationen und Dialoge. Ohne Wenn und Aber sind es diese Interaktionen zwischen Ali und Mortensen, die dem Streifen (zurecht) insgesamt fünf Oscar-Nominierungen eingebracht haben.

Doch eines gleich vorweg: Der Film romantisiert die ungewöhnliche Freundschaft von Don Shirley und Tony Lip ganz gehörig, was nicht zuletzt daran liegt, dass dessen Sohn Nick Vallelonga am Drehbuch mitwirkte. Die Familie von Shirley soll dagegen ganz und gar nicht grün mit „Green Book“ geworden sein, wirft den Machern mangelnde Akkuratesse vor.

Hier die ewige Gretchenfrage: Wie viel künstlerische Freiheit ist man als Zuschauer gewillt, den Filmschaffenden nachzusehen? Das muss wie bei Oscar-Konkurrent „Bohemian Rhapsody“ auch hier jeder für sich entscheiden. Wobei die Nachsicht bei „Green Book“ einfacher fallen dürfte, wird darin schliesslich eine weitaus unbekanntere Geschichte erzählt.

Wer ist Haupt- und wer Nebendarsteller?

Der Titel des Films bezieht sich auf das sogenannte „Negro Motorist Green Book“ der damaligen Zeit. Der Reiseführer listete alle Hotels, Restaurants und Tankstellen auf, an denen man als Afro-Amerikaner bedient beziehungsweise beherbergt wurde. Hier erzählt der Film vielleicht seine stärkste Botschaft:

Der gutbetuchte Don Shirley hätte sich diesen Spiessrutenlauf durch den Süden nicht antun müssen. Bewusst ging er das Risiko und die Pein ein, um für ein Umdenken zu sorgen. „Green Book“ ist allen voran seine Geschichte, erzählt aus der Perspektive des einerseits herzlichen, andererseits ungehobelten Begleiters Tony Lip. Jener Figur, die zu Beginn des Films noch zwei Gläser in den Müll wirft, weil daraus schwarze Handwerker getrunken haben.

Wie schnell letztendlich der Wandel vom geldgeilen Rassisten zum treuen Freund fürs Leben stattfindet, ist zuweilen unglaubwürdig und etwas kitschig. Eine herausragende Sache gelingt „Green Book“ aber dennoch: Zu jeder Sekunde des Films (und wenn man nicht den wahren Ausgang der Geschichte kennt) ertappt man sich bei dem Gedanken: „Hoffentlich passiert keinem der beiden etwas!“

Durch diese Perspektive nimmt der herausragend spielende Mortensen mehr Raum im Film ein. Dass Ali aber „nur“ als Nebendarsteller nominiert wurde, während sich Ersterer als Hauptdarsteller Hoffnungen auf einen Oscar machen darf, verwundert dann doch. Alis dargebotene Zerrissenheit ob der Tatsache, sowohl wegen seiner Hautfarbe, als auch aufgrund seines Bildungsstands diskriminiert zu werden und sich so völlig alleine zu fühlen, verdient höchste Anerkennung. Ebenso wie die Würde, mit der er selbst die infamsten Beleidigungen erträgt.

Fazit:

Natürlich hat auch die wahre Geschichte über Don Shirleys und Tony Vallelongas Reise durch den Süden die für Hollywood typische Überarbeitung bekommen. Am Denkmal des echten Musikers kratzt das aber nicht, im Gegenteil. Manchmal ist es besser, eine Geschichte romantisiert zu erzählen – als gar nicht.

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