Neuer Song „Radio“: Rammstein setzen ihre Geschichtsstunde fort

Am Donnerstag konnten Fans in Berlin, Hamburg und Köln schon mal das neue Rammstein-Video sehen, jetzt hat die Band den Clip veröffentlicht. „Radio“ ist eine Geschichtsstunde über die DDR.

Erst vor wenigen Wochen schritten Rammstein mit ihrem Song „Deutschland“ in Siebenmeilenstiefel durch die deutsche Geschichte. Jetzt setzt die Band ihre Geschichtsstunde fort. Am Freitag veröffentlichten Rammstein ihre zweite Single-Auskopplung aus dem am 17. Mai erscheinenden Album „RAMMSTEIN“.

Bereits am Donnerstagabend hatten etwa 1’000 Menschen in Berlin-Mitte, Hamburg und Köln die Gelegenheit, das Video erstmals bei einer Art Flashmob öffentlich zu sehen. Der knapp fünf Minuten lange Streifen war an Hauswände projiziert worden. Wer die Tonspur hören wollte, musste allerdings ein Radio mitbringen oder am Smartphone mithören.

Der neue Track heisst auch „Radio“ und beschreibt, wie es sich angefühlt haben muss, in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gelebt zu haben. Die ersten Verse des Liedes lauten: „Wir durften nicht dazugehören/ Nichts sehen, reden oder hören“.

„Jenes Liedgut war verboten“

Westliches Liedgut, insbesondere englischsprachige (Rock-)Musik, waren im Arbeiter- und Bauernstaat meist verboten oder unterlagen strenger Zensur. Das Hören sogenannter Westsender, Rundfunk- und Fernsehsender der Bundesrepublik, war ebenfalls untersagt. Die Informationshoheit lag bei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) – und die sahen in westdeutschen Radio- und Fernsehsendungen eine Gefahr für ihre Herrschaft.

In „Radio“ kommt dies in zwei Versen der zweiten Strophe zum Ausdruck: „Jenes Liedgut war verboten/ So gefährlich fremde Noten“, singt Till Lindemann (56) auf verächtlich-melancholische Weise.

Über dieses Verbot setzten sich aber viele Menschen in der DDR hinweg. Keine noch so sehr gesicherte Grenze war zwischen 1949 und 1989 in der Lage, die Radiowellen abzufangen, auf denen die Rundfunkanstalten der Bundesrepublik ihre Sendungen verbreiteten. Wer ein Radio hatte, konnte mithören.

In der zweiten Hälfte der ersten Strophe heisst es daher: „Doch jede Nacht für ein, zwei Stunden/ bin ich dieser Welt entschwunden/ Jede Nacht ein bisschen froh/ Mein Ohr ganz nah am Weltempfänger“. Schon an dieser Stelle lassen Rammstein anklingen, welches Leid die DDR den Menschen beibrachte. Richtig deutlich wird dies aber dann im Refrain: „So höre ich was ich nicht seh’/ Stille heimlich fernes Weh“.

Die Bedeutung dieses nächtlichen Radiohörens in der DDR stellen Rammstein im Video auf unterschiedliche Weise dar. Man sieht eine Frau beim Sex mit dem „Weltempfänger“. Eine Nonne betet das Radio an, den Rosenkranz in der Hand. Eine andere Frau führt ihr Transistorradio im Kinderwagen spazieren, nimmt es zum Stillen an die Brust – als es ihr von einem Volkspolizisten entrissen wird, sinkt sie flehend auf die Knie.

„Mein Radio gehört mit“

Am Ende ist es genau diese Unterdrückung, die in „Radio“ das System zum Einsturz bringt. Wütende Menschen gehen im Video sprichwörtlich auf die Barrikaden. Hilflos schwingen die Volkspolizisten ihre Knüppel.

Besonders auffällig ist dabei eine junge Frau. Auf ihrem entblössten Oberkörper hat sie sich in Anlehnung an die Femen-Bewegung die Worte „Mein Radio gehört mit“ geschrieben. Gleichzeitig schwenkt sie eine Fahne – ganz im Stile der Ikone der französischen Revolution, dem Delacroix-Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ aus dem Jahr 1830. Bei Rammstein ist es das Radio, das das Volk in die Freiheit führt. Es steht für die Freiheit, die aus Information entsteht – und die Angst unterdrückender Systeme vor dem freien Wort.

„Radio“ trägt dabei auch biografische Züge: Die Bandmitglieder von Rammstein wuchsen in der DDR auf. Ihre Anfänge nahm die Band in der DDR-Punkrock-Szene der 80er-Jahre. Rammstein gehen in ihrer 2015 erschienen Biografie sogar soweit, zu sagen, dass es die Band ohne die DDR gar nicht gegeben hätte.

Mit „Radio“ geben Rammstein ihren Zuhörern einerseits audiovisuell die Möglichkeit, sich in die Gefühlswelt jener Deutscher zu begeben, die unter dem System der DDR zu leiden hatten – Aufarbeitung im Stile der Neuen Deutschen Härte. „Radio“ ist ein hochpolitischer Track geworden, genauso wie das vor wenigen Wochen veröffentlichte „Deutschland“.

Sollte sich dieses Muster fortsetzen, dann steht mit dem neuen Album eine Platte ins Haus, die dem immer politischer werdenden Zeitgeist entspringt und ihn in harte Noten giesst, zu denen Fans ganz vortrefflich bangen, moshen und singen können – und dabei sogar noch etwas lernen.

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