„Fear Inoculum“: So gut ist das neue Album der legendären Band Tool

Ganze 13 Jahre hat es gedauert, nun ist es soweit. „Fear Inoculum“, das neue Studioalbum der kalifornischen Band Tool, ist da. Und es klingt so, wie sich 13 Jahre harte Arbeit anhören müssen: perfekt.

Was lange währt, wird endlich gut, heisst es im Volksmund. Selten dürfte die Redewendung so gepasst haben, wie für das langerwartete – ja ersehnte – Album der Progressive-Rock-Alternative-Post-Metal-Legende Tool. 13 Jahre war „Fear Inoculum“ in der Mache. Jetzt, 4’868 Tage nach dem Erscheinen von „10’000 Days“, ist das vielleicht heiss-erwartetste Album des Jahrzehnts auf dem Markt. Und beweist vor allem, dass Tool sich nicht mehr entwickeln müssen, um perfekte Musik zu machen.

So sehr erwartet war „Fear Inoculum“, dass das Album trotz aller Sicherheitsvorkehrungen seitens Sony am Ende, wenige Tage vor Release am 30. August, doch illegal im Netz landete – zumindest stellten Mitarbeiter von Versandhäusern und Supermärkten in den USA vorab Bilder des Albums online. Irgendwo in einer versteckten Ecke des Netzes soll auch der Tonträger abrufbar gewesen sein, berichtete das Musik-Magazin „laut.de“.

Perfektionismus bis zum Äussersten

Angeblich soll Sänger Maynard James Keenan (55) sogar Todesdrohungen von Fans erhalten haben, die es offenbar nicht ertragen konnten, so lange auf neues Material aus der Meisterschmiede Tool zu warten. Zumindest berichtete das Drummer Danny Carey (58) in einem Interview mit dem „Metal Hammer“, das auch Einblicke in den kreativen Prozess hinter „Fear Inoculum“ gab.

Gitarrist Adam Jones (54) etwa habe nach dem Mantra gearbeitet: „Es (das Album, d. Red.) ist nicht gut, wenn es fertig ist, es ist fertig, wenn es gut ist.“ Carey selbst sagt dazu: „Die Fans haben einfach keine Ahnung davon, nach welcher Arbeitsethik wir vorgehen. Diese Sachen passieren nicht so nebenbei. Es wird da draussen keine andere Platte geben, die sich so anhört, wie diese Tool-Platte.“

Was auch immer man von einem so perfektionistischen Ansatz halten mag, mit seiner Einschätzung zur Qualität von „Fear Inoculum“ hat Jones sicher recht behalten. Dieses Album ist in seinem Klang, seiner Komposition und seiner Länge einzigartig.

Schlaf in einem Klangbett

An die 85 Minuten Zeit muss sich der geneigte Tool-Fan nehmen, um dieses eigentlich nur als Gesamtkunstwerk greif- beziehungsweise hörbare Album einmal durchzuhören. „Fear Inoculum“, der erste Track (und Single-Auskopplung) des Albums dauert gute zehn Minuten, „7empest“ sogar knapp 16 Minuten. Eine Viertelstunde für einen Track der keinerlei Längen hat, das muss man erstmal schaffen.

Allerdings gehört auch zur Wahrheit, dass Tool mit dem Album eine derart in ihren Bann ziehende Musik abgeliefert haben, dass zumindest beim ersten Hören die Zeit wie im Flug vergeht. Die Kalifornier liefern hier Kunst im wahrsten Sinne des Wortes ab.

Sphärische Synthesizer-Klänge wechseln sich ab mit hochkomplexen Bassstrukturen und Gitarrenriffs, die sich – miteinander perfekt harmonierend – in emotionale Höhen versteigen, fallen lassen und auffangen. Am Ende sind eineinhalb Stunden vergangen, ohne dass diese vergangen zu sein scheinen. Es wirkt ein kleines bisschen so, also ob die Zeit selbst stehen bleibt und Tool dabei lauscht, wie sich 13 Jahre harte Arbeit anhören.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass diese zeitlose Harmonie, die das Album zweifellos darstellt, paradoxerweise auch Zeit benötigt, um vollends genossen, geschweige denn verstanden zu werden. „Fear Inoculum“ ist keine Musik, die man sich frühmorgens im Pendelverkehr in die Beats-Kopfhörer haut und dann gemütlich zur Arbeit fährt.

Vielmehr gilt für „Fear Inoculum“: Eine Session mit dem Album ist harte Zuhör-Arbeit, die Vergnügen auf höchster Ebene bereitet. Eine Session mit dem Album ist wie ein Schlaf in einem warmen Bett, dessen Decke Tool mit ihren Klängen weben. Eine Session mit dem Album ist wie ein langer Winterabend am Kamin, rauchigen Scotch-Whisky im Tumbler, begleitet von dunkler Schokolade. Eine Session mit dem Album ist Musik für gewisse Stunden, in denen Zeit relativ sein soll und in denen Tool den Takt vorgeben – auch wenn der wie gewohnt (sehr) wechselhaft ist.

Kritik um ihrer selbst willen

Das ist vielleicht auch der einzige Kritikpunkt, den man an dem Album festmachen kann. Eine musikalische Weiterentwicklung stellt „Fear Inoculum“ nicht dar. Tool bleiben sich und ihrem seit „10’000 Days“ bekannten Sound treu, stellenweise fühlt man sich beim Hören sogar frappierend an das letzte Meisterwerk von 2006 erinnert. Dramatisch oder tragisch ist das nicht, eher schön oder beruhigend. Mit „Fear Inoculum“ scheinen Tool ihren Sound gefunden zu haben und verbleiben auf dem Musik-Olymp, den sie sich mit ihrem Perfektionismus selbst aufgeschüttet haben.

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