„9 Tage wach“: Deshalb spielt Eric Stehfest im Film nicht sich selbst

Mit „9 Tage wach“ hat Eric Stehfest seine Vergangenheit als Meth-Junkie aufgearbeitet, jetzt wurde die Autobiografie als TV-Film umgesetzt. Warum der Schauspieler sich nicht selbst spielt und wieso er fortan nicht mehr als Eric Stehfest in die Öffentlichkeit treten wird, erzählt er im Interview.

Schauspieler Eric Stehfest (30) erzählt in seiner Autobiographie „9 Tage wach“ (2017) schonungslos über seine Drogenvergangenheit und den Konsum von Crystal Meth. ProSieben hat den Bestseller nun als TV-Drama umgesetzt (Sonntag, 15. März um 20:15 Uhr auf ProSieben und Joyn). Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählt Stehfest von seinen Erinnerungen an den neuntägigen Drogen-Trip, der ihn fast das Leben kostete. Zudem verrät er, warum nicht er, sondern Jannik Schümann (28, „Dem Horizont so nah“) seine Rolle übernommen hat und welche musikalischen Pläne er derzeit verfolgt.

Sie haben gesagt: „Mit der Verfilmung verabschiede ich mich von meinem alten Leben.“ Was meinten Sie damit?

Eric Stehfest: Meine quasi Vorreiterin Christiane F. hat eine wahnsinnige Welle mit ihrem Buch ausgelöst, sie ist aber den Titel der heroinsüchtigen Prostituierten vom Bahnhof Zoo nie losgeworden. In ihrem letzten Interview hat sie sich gewünscht, dass sie nicht als Christiane F. sterben möchte und das kann ich total nachvollziehen. Ich möchte ein Vorbild sein, das es wirklich geschafft hat, nicht nur von der Droge wegzukommen, sondern ein neues Leben anzufangen. Es ist tatsächlich eine Wiedergeburt. Die Verfilmung als Abschluss war immer das Ziel, es wird keine andere grosse Verwertung mit dem Stoff mehr geben.

War es für Sie schwer, am Drehbuch mitzuschreiben und das alles noch einmal zu durchleben?

Stehfest: Es war ein sehr intensiver, aber auch lehrreicher Prozess. Andreas Bareiss, einer der Produzenten, hat mich ganz wunderbar an die Hand genommen und hat mir viel Vertrauen geschenkt. Ich habe mit meiner Produktionsfirma vorher schon neun Kurzfilme gedreht und auch selber die Drehbücher dazu geschrieben, ich bin also nicht unvorbereitet in den Job gegangen. Und ich habe während des Buchschreibens dramaturgisch alles schon so angelegt, dass es filmisch wirkt, weshalb das Lesen für manche durch die Szenensprünge sehr schwierig war. Was das Schreiben betrifft, habe ich Blut geleckt. Da wird noch mehr kommen.

Der Film behandelt mit einer Drogengeschichte ein sensibles Thema, das durch Bilder noch einmal realer wirken kann. Was war Ihnen wichtig für den Film?

Stehfest: Da gab es anfangs viele Diskussionen. Er sollte so viele Menschen wie möglich erreichen und für möglichst viele Menschen verständlich bleiben. Das heisst, wenn wir mit irgendeinem Arthouse-Film um die Ecke kommen, könnte es passieren, dass da einfach zu viele aussteigen und das hat das Thema nicht verdient. Deshalb ist der Film relativ eindeutig. Es ist nicht nur ein gedachter, sondern auch ein körperlicher Film, da muss man sich als Schauspieler wirklich abarbeiten und leiden und diesen Leidensprozess erlebe ich bei Jannik Schümann total.

Wie war das für Sie, ihn in Ihrer Rolle zu sehen, haben Sie in ihm sich selbst oder die Filmfigur gesehen?

Stehfest: Es war fast schon gespenstisch. Ab ungefähr der Hälfte ist es mir beim Filmgucken passiert, dass ich mich manchmal gesehen habe und auch andere Figuren plötzlich in meinem Kopf auftauchten – total psychotisch. Und dennoch ist es nicht nur das. Ich sage bewusst nur, weil die Schauspieler ihre Geschichten auch miteinbringen. Von denen kann man sich, obwohl man eine Rolle spielt, nicht vollends lösen. Ich finde, das setzt dieser Welt und dem Charakter von „9 Tage wach“ noch das i-Tüpfelchen auf.

Gab es die Überlegung, dass Sie sich selbst spielen?

Stehfest: Für mich war das ein Riesenthema, das war eigentlich der grösste Prozess. Die ganze Zeit auf der Strasse und wo ich diese Szenen wirklich erlebt habe, war mein Rettungsanker: „Eric halte durch, das wird irgendwann verfilmt. Das wird Sinn machen, dass du das sehen musst und erlebst.“ Und dann kam der grosse Tag, als es hiess: „Du kannst nicht alles haben. Willst du spielen oder willst du Drehbuch schreiben.“ Ich habe mich dafür entschieden, dass ich an dem Stoff dranbleiben will, ich habe mir gedacht: „Was bringt es mir, wenn ich mich spiele, aber ich keinen Einfluss mehr darauf habe, wie meine Geschichte erzählt wird.“ Einen kleinen Auftritt habe ich aber.

In der Doku im Anschluss des Films sind Sie mit Ihrer Frau zu sehen. Wie kam es dazu, dass Sie viel mit ihr zusammenarbeiten und das Thema mit ihr aufgreifen?

Stehfest: Unsere Zeit benötigt reale Stimmen, die den Mut haben, Wahrheiten auszusprechen. Wenn ich immer nur in der Fiktion lebe, kann ich diesem Ruf nicht nachgehen. Deswegen habe ich mich entschieden, gemeinsam mit meiner Frau nicht nur als Ehepaar zu agieren, sondern auch als Künstlerpaar, das versucht, seine Stimmen einzusetzen für genau diese Themenbereiche und für Menschen, die keine Stimme haben. Es kann anstrengend und hart sein, weil man in der Kunst ehrlich sagen muss, wenn etwas nicht gut ist. Und wir mussten erfahren, dass man sich nicht nur Freunde macht, wenn man der Wahrheit dient. Bei unseren Lesungen gab es Überfälle, wir wurden angegriffen. Wir versuchen derzeit, unsere Verbündeten zu stärken und die Arbeit zu machen, ohne ein Wohl dabei zu gefährden.

Der Buchtitel basiert auf einem Erlebnis am Höhepunkt Ihrer Sucht. Welche Erinnerungen haben Sie heute noch an diese Tage?

Stehfest: Im Hier und Jetzt fällt es mir wahnsinnig schwer zu weinen. Zu der Zeit konnte ich heulen und hatte richtige Schreiattacken. Ich erlebte gerade die Trennung von meiner ersten grossen Liebe, das war für mich extrem schlimm und schmerzhaft. Ich erinnere mich noch an die toten Tiere bei mir in der Wohnung, um die ich mich nicht gekümmert hatte, die im Käfig verwest sind und ich sie in meinem Druffsein nach Wochen erst rausbringen konnte. Dazu dieser Müll überall und die ständigen Versuche, Euphorie auszuschütten, indem man sich noch eine längere Bahn baut. Und ich erinnere mich an dieses Gefühl, vor dem Spiegel zu stehen, gefühlte Stunden, mich in meinen Augen zu verlieren und diesen abgemagerten Jungen zu sehen. Aber irgendwie immer mit dieser Illusion: Das muss so sein, das ist richtig so.

Wie meinen Sie das?

Stehfest: Bei Suchtkranken ist das Problem, dass oft versucht wird, von aussen zu helfen, der Süchtige aber denkt, dass er noch gar nicht ganz unten ist, nach dem Motto: Wenn ich schon mal auf diesem Pfad bin, will ich jetzt auch sehen, wie es ganz unten aussieht. Nach dem siebten Tag bin ich davon ausgegangen, dass ich sterben werde. Um diese Auseinandersetzung geht es letztendlich: sich bewusst zu machen, dass das Leben nicht endlos ist und man sich überlegt, was man im Leben von dem, was man mal wollte, schon erreicht hat. Es war schmerzhaft, mir ein paar Dinge klarzumachen, dass ich mein Kind verloren hatte, dass ich Europa noch nicht verlassen hatte, dass ich noch keine tiefgreifende Rolle spielen durfte. Das hat mich wahnsinnig traurig gemacht.

Heute sind Sie in der Aufklärungsarbeit tätig. Haben Sie das Gefühl, dass in den Jahren die Aufklärung über Crystal Meth besser geworden ist, dass ein grösseres Verständnis für die Gefahren herrscht?

Stehfest: Ich habe das Gefühl, dass unsere Politik sich auf andere Themen stürzen muss, die lauter sind. Kein Politiker kam bisher auf mich zu und hat eine Zusammenarbeit vorgeschlagen. Das war zu Zeiten von Christiane F. ganz anders, da war das Thema noch präsent und offensichtlich, da waren unsere Bahnhöfe noch nicht sauber. Das macht mir Sorgen. Es gibt viele wichtige Themen, um die wir uns kümmern müssen, aber wir müssen erst mal lernen, uns selbst zu lieben und ein gepflegtes System in uns zu tragen.

Nach Ihrem „Dancing on Ice“-Sieg haben Sie Ihren Rückzug angekündigt und gemeint: „Ich habe gefunden, was ich gesucht habe.“ Wie würden Sie Ihr aktuelles Leben beschreiben?

Stehfest: Ich habe gesagt, ich verlasse die Öffentlichkeit als Eric Stehfest. Er wird auch nicht mehr wiederkommen, sondern Ampel, Erics Alter Ego. Er war der Rebell, der nach vorne gegangen ist in die erste Reihe, keine Angst kannte und sich für seine Werte eingesetzt hat. Das Problem in der Vergangenheit war, dass er dafür noch Drogen brauchte – heute ist sein Geist nicht mehr benebelt. Mit Lotta Laut, meiner Frau, und zwei weiteren Mitgliedern, Omega und Hannibal, bildet Ampel die Band €$ OH €$. Gemeinsam werden wir unsere Stimme einsetzen, der Wahrheit dienen und eine Bewegung lostreten. Dass wir als Menschen wieder für unsere Werte einstehen und uns verbunden fühlen. Ich habe es geschafft, aus dem Drogensystem auszusteigen, jetzt ist das nächste System dran.

Wieso haben Sie sich Ampel ausgesucht?

Stehfest: Eric Stehfest hat es im aufbrausenden Rechts-Links-Konflikt nicht hinbekommen, etwas zu sagen, weil er Angst hatte, dass seine Meinung dem ein oder anderen nicht gefällt. Deshalb hat er sich dafür entschieden, die anderen reden zu lassen. Diese Hilflosigkeit musste ich bekämpfen und aufheben, weil ich das nicht bin. Da ist mir Ampel eingefallen, dem ist es egal, was die anderen denken. Er ist aber auch nicht mehr der 14-Jährige von früher, der einfach drauf los plappert, sondern kurz mal nachdenkt und sich eine Strategie überlegt. Diesen klaren Blick nach draussen habe ich gesucht.

Sie haben eine harte Kindheit und Jugend hinter sich – was wünschen Sie Ihrem Sohn?

Stehfest: Ich wünsche mir für ihn, dass ich viel Zeit habe für ihn, die hatte ich in den letzten drei Jahren nur bedingt. Ich finde seine sensible und liebevolle Art sehr berührend, weil sie mich heilt und ich kann sie ihm zurückgeben. Das konnte mein Vater nicht und meine Mutter nur teilweise. Ich wünsche mir, dass er das Erwidern immer wieder bekommt, wenn er es braucht.

Vorheriger ArtikelRoman über Working Poor und Kunstraub
Nächster ArtikelSky zeigt Bundesliga im Free-TV