Das muss man über Endometriose wissen

Eine der häufigsten Frauenkrankheiten ist Endometriose. Sie verursacht starke Schmerzen und chronische Beschwerden, ist aber schwer zu diagnostizieren. Dr. med. Ewald Becherer gibt im Interview Aufschluss über die Krankheit, die zu wenig Aufmerksamkeit erfährt.

Am 29. September ist Tag der Endometriose, eine der häufigsten Frauenkrankheiten, die aber oft unentdeckt bleibt. Sie kann neben starken Schmerzen auch weitreichende Folgen mit sich bringen. Dr. med. Ewald Becherer, Facharzt für Frauenheilkunde, klärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news über das Krankheitsbild auf.

Was ist Endometriose?

Dr. med. Ewald Becherer: Endometriose ist definiert als das Vorkommen von Gebärmutterschleimhaut-ähnlichem Gewebe ausserhalb der Gebärmutterhöhle. Dieses Gewebe kann sich in unterschiedlichen Bereichen im Bauchraum ansiedeln, überwiegend im Bauchfell des Beckens, an den Eierstöcken und Eileitern, in der Muskelschicht der Gebärmutter, in der Blasen- und Darmwand und zwischen Scheide und Enddarm. Sie kann in Form von kleinen Bläschen oberflächlich im Bauchfell wachsen, als feste Wucherung beziehungsweise Knoten tief in die Gewebeschichten des Beckens hineinwachsen oder Zysten in den Eierstöcken bilden.

Diese Definition trifft allerdings nicht auf alle Frauen zu. Nicht wenige sind beschwerdefrei, sodass dieser Befund auch ein harmloser Zufall sein kann, der nicht behandelt werden muss. Bei vielen Frauen ist Endometriose aber eine schwere Erkrankung, die das Leben der Betroffenen über lange Zeit oder gegebenenfalls auch immer wieder stark beeinträchtigt. Zur Erkrankung wird ein solcher Befund, wenn Beschwerden hinzukommen, wenn die Fruchtbarkeit beeinträchtigt oder wenn die Struktur beziehungsweise die Funktion von Organen geschädigt wird.

Welche Beschwerden treten bei Endometriose auf?

Becherer: Zu den häufigsten Beschwerden gehören schmerzhafte Periodenblutungen, wobei die Schmerzen oft schon vor dem Einsetzen der Blutung auftreten können. Es können Schmerzen beim Geschlechtsverkehr auftreten, die oft stellungsabhängig sind. Manchmal treten Blutungsstörungen und starke Periodenblutungen auf. Bei einem Endometriosebefall des Eierstocks kann es zu typischen Eierstockzysten kommen, die schmerzhaft sind. Wenn Endometrioseherde in der Blase oder im Darm sitzen, kann es zu blutigem Urin, Darmbluten oder Schmerzen beim Wasserlassen oder Stuhlgang kommen.

Endometriose kann auch in Narben oder im Nabel auftreten. Einige Frauen klagen über ganz unspezifische und zyklusunabhängige Bauchschmerzen. 30 bis 50 Prozent der Frauen mit Endometriose haben Schwierigkeiten, schwanger zu werden. Bei manchen von ihnen bleibt der Kinderwunsch unerfüllt. Die Beschwerden können sowohl einzeln als auch mit anderen zusammen auftreten. Sie können nur dezent ausfallen, aber auch sehr massiv sein.

Welche Frauen sind am häufigsten von Endometriose betroffen?

Becherer: Man schätzt, dass bei 10 bis 15 Prozent der Frauen im geschlechtsreifen Alter Endometriose entdeckt werden kann und in Deutschland jährlich circa 40.000 Neuerkrankungen auftreten. Mindestens 40 Prozent von ihnen sind therapiebedürftig. Somit ist Endometriose eine der häufigsten Frauenkrankheiten in diesem Lebensalter. Bei Frauen mit chronischen Unterbauchbeschwerden kann in bis zu 70 Prozent Endometriose gefunden werden, bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch in 20 bis 48 Prozent. Bei gesunden, fruchtbaren Frauen ohne Beschwerden konnten Endometrioseherde als Zufallsbefund in bis zu 43 Prozent entdeckt werden.

Frauen haben ein höheres Risiko an Endometriose zu erkranken, wenn sie früh ihre erste Menstruation bekommen haben oder sie erst spät zum ersten Mal schwanger werden. Kurze Menstruationszyklen, immer wieder auftretende Zwischenblutungen sowie lange oder starke Blutungen erhöhen das Risiko. Sexueller und körperlicher Missbrauch in Kindheit und Jugend ist ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Endometriose verbunden.

Frauen, die regelmässig Sport treiben, einen hohen Vitamin-D-Spiegel haben oder eine hormonelle Verhütungsmethode verwenden (zum Beispiel die Pille), sind seltener von Endometriose betroffen. Eine familiäre Häufung der Endometriose ist ausserdem bekannt. Man geht davon aus, dass in sechs Prozent der Fälle eine genetische Komponente für Verwandte ersten Grades vorhanden ist. Eine zwangsläufige Vererbung kommt aber nicht vor.

Wie wird Endometriose diagnostiziert?

Becherer: Meistens ergibt sich der Verdacht auf Endometriose durch das Gespräch mit dem Frauenarzt und die gynäkologische Untersuchung. Der weiterführenden Diagnostik dient in der Regel eine Ultraschalluntersuchung, wobei kleine Endometrioseherde damit nicht dargestellt werden können. Je nach ihrer Position kann man grössere Endometrioseherde im Ultraschall gut erkennen. Endometriosezysten sind meistens zwar problemlos zu sehen, manchmal ist es aber schwierig, sie sicher von anderen Zysten zu unterscheiden. Auf eine Endometriose in der Gebärmuttermuskelschicht, die Adenomyose, gibt die Ultraschalluntersuchung meist nur Hinweise, die nicht immer eine verlässliche Diagnose ermöglichen. Manchmal sind Zusatzuntersuchungen sinnvoll, wie beispielsweise eine Blasen- oder Darmspiegelung sowie eine Kernspintomographie (MRT).

Die wichtigste Methode zur Diagnose der Endometriose ist die Bauchspiegelung, die Laparoskopie. Damit kann der Operateur die Genitalorgane, die Harnblase, den Darm und das Bauchfell anschauen. Er sieht allerdings dadurch nur die bauchhöhlenseitige Wand dieser Organe und kann damit nicht durch die Wand hindurchschauen, wie es beispielsweise mit dem Ultraschall möglich ist. Bei dieser Laparoskopie können Proben entnommen und die sichtbaren Endometrioseherde möglichst vollständig entfernt werden. Dabei wird der diagnostische Eingriff auch zu einem therapeutischen.

Die Schwere der Erkrankung wird unter anderem durch Schmerzen bedingt, die jedoch oft nicht mit der Befundausprägung korrelieren. Alle Schmerzen, auch die Schmerzen durch Endometrioseherde, sind von zusätzlichen Faktoren abhängig, die nicht bei einer Operation erkannt werden können, sondern auch auf vergangene oder gegenwärtige Lebensumstände zurückzuführen sind. Daher gehört zur Diagnostik der Endometriose, neben der Befunderhebung, auch diese Faktoren sorgfältig zu erkennen und zu behandeln.

Wie wird Endometriose behandelt?

Becherer: Die Operation, die zur Diagnosesicherung angesetzt und normalerweise als Bauchspiegelung durchgeführt wird, ist in der Regel auch der erste und ein sehr wichtiger Therapiebestandteil. Endometrioseherde und -zysten können durch Ausschneiden entfernt oder durch eine gezielte Hitzeeinwirkung zerstört werden. Dies können sowohl kurze und einfache als auch langwierige und sehr schwierige Operationen sein. Ziel einer Operation sollte immer die komplette Entfernung oder Zerstörung aller Endometrioseherde sein.

Da auch nach vollständiger Entfernung aller sichtbaren Herde innerhalb von fünf Jahren in bis zu 75 Prozent der Fälle erneut Endometrioseherde und Beschwerden auftreten können, ist oft eine medikamentöse Langzeittherapie sinnvoll. Endometrioseherde sind östrogenabhängig, sodass man sie über eine Regulierung der Östrogenproduktion beziehungsweise -wirkung therapeutisch beeinflussen kann.

Der stimulierenden Wirkung des Östrogens auf die Endometrioseherde kann man durch die Gabe von Gelbkörperhormonen, den Gestagenen, entgegenwirken. Gestagene trocknen die Endometrioseherde ein, solange sie verabreicht werden. In dieser Zeit kommt es zu keiner regulären Periodenblutung. Ausserdem halten sie die Eizellreifung auf und verringern dadurch die Östrogenproduktion. Die Fruchtbarkeit können sie nicht verbessern und sie haben keine Wirkung auf Endometriosezysten.

Eine vergleichbare Wirkung erzielt man auch mit der Antibabypille, die aus einer gleichbleibenden Kombination von Gestagenen und einem Östrogen bestehen. Die Pille sollte man dabei am besten durchgehend, ohne die übliche einwöchige Pause, einnehmen. Ziel dieser beiden Medikationen ist es, den Zyklus und damit die zyklische Östrogenproduktion weitgehend auszuschalten.

Weitere Behandlungsverfahren können die sogenannte achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction), Traditionelle Chinesische Medizin, Neuraltherapie, Homöopathie, Osteopathie und Yoga sein.

Ist Endometriose heilbar?

Becherer: Mit den heute üblichen operativen und medikamentösen Therapiemöglichkeiten ist Endometriose nicht heilbar. Man kann aber damit sehr oft eine langfristige oder andauernde Symptomfreiheit erreichen, sodass sich die Patientinnen kaum oder gar nicht krank fühlen. Dies gelingt aber nicht immer.

Der Tag der Endometriose soll Menschen über das Krankheitsbild aufklären. Braucht die Frauenkrankheit mehr Aufmerksamkeit?

Becherer: Ja. Es ist gut, wenn ein Mädchen oder eine Frau dadurch erfährt, dass ihre Endometriose-bedingten Beschwerden nicht normal sind, selbst wenn auch ihre Mutter, Schwester oder beste Freundin darunter leidet und der Frauenarzt angemessen darauf reagieren muss. Es ist sehr hilfreich, dass sie die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten mit ihren spezifischen Therapiezielen, Chancen und Grenzen kennenlernen, um die für sie passenden und richtigen auswählen zu können und eventuell auch prüfen kann, von wem sie sich operieren lässt. Es ist wichtig, dass ihr Partner oder ihre Partnerin und ihr soziales Umfeld mehr über die Erkrankung erfahren, damit sie offener damit umgehen und mehr Verständnis und Rücksicht aufbringen können.

Dr. med. Ewald Becherer ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und hat zusätzlich eine naturheilkundliche, homöopathische, psychotherapeutische und sozialmedizinische Ausbildung. Nach seiner Facharztausbildung war er Ober- und Chefarzt in einer Rehabilitationsklinik und ist seit 2004 niedergelassener Frauenarzt, zunächst in Wiesbaden und seit 2014 in Titisee-Neustadt im Schwarzwald, mit Schwerpunkt auf Endometriose. Er ist Herausgeber und Mitautor des Ratgebers „Endometriose: Ganzheitlich verstehen und behandeln“, der im Kohlhammer-Verlag erschienen ist.

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