Melika Foroutan: Ihr Doppelleben als „Tribes of Europa“-Scheusal

Melika Foroutan geht als Lord Varvara nicht nur im übertragenen Sinn über Leichen

Quelle: Netflix Germany

Melika Foroutan schlüpft für die neue Serie „Tribes of Europa“ in die Haut einer postapokalyptischen Sadistin. Im Interview erklärt sie den besonderen Reiz, „das Böse darzustellen“.

Mitunter sind es die verwerflichsten Protagonisten, die Schauspieler und Schauspielerinnen am meisten reizen. Frei nach dem Motto: Den Helden in strahlender Rüstung kann ja jeder spielen. Auch Melika Foroutan (45), unter anderem bekannt aus der Frank-Schätzing-Romanverfilmung „Die dunkle Seite“, vernahm mit ihrer Rolle als diabolische Lord Varvara in der deutschen Netflix-Serie „Tribes of Europa“ (ab 19. Februar) diesen „verführerischen wie abstossenden“ Ruf des Bösen.

In der Serie, die im Jahr 2074 spielt, ist der europäische Kontinent „nach einem Cyberkrieg“ in Mikrostaaten zerbrochen und quasi zurück ins Mittelalter verfrachtet worden. Mit der Nachrichtenagentur spot on news spricht Foroutan unter anderem über die Relevanz der Serie zu Zeiten der Corona-Pandemie, was sie in der Welt von „Tribes of Europa“ besonders vermissen würde und ihr reizvolles Dasein als „postapokalyptische Femme fatale“.

„Tribes of Europa“ zeichnet eine ausgesprochen dystopische Zukunftsvision. Für wie realistisch halten Sie eine derartige Entwicklung?

Melika Foroutan: Unsere alltägliche Abhängigkeit von Technik, die oft gar nicht bewusst wahrgenommen wird, zum Beispiel im Bereich Gesundheit, Verkehr, Transport oder Sicherheit, ist enorm gross. Wenn das alles von heute auf morgen lahmgelegt wird, bricht unsere interagierende Welt zusammen. Dann herrscht Chaos und Anarchie. In „Tribes of Europa“ führt das zu einem zerfallenen, sich gegenseitig bekämpfenden Kontinent. Ich denke, es ist klar, dass diese Dystopie auf heutige Konflikte aufbaut.

Bekommt die Serie in Ihren Augen aufgrund der derzeitigen Corona-Situation eine besonders relevante Note?

Foroutan: Corona legt offen, wie brüchig unsere als sicher erachteten Lebensgewohnheiten in Wahrheit sein können. Egal ob eine Gesundheitskrise wie jetzt, die Finanzkrise 2008, oder die Flüchtlingskrise 2015, zeigen solche Phasen immer deutlich, dass nur eine kleine Gruppe von Expert*innen und Wissenschaftler*innen sie vorab kommen sehen – aber Politik und Gesellschaft doch irgendwie immer da hineinstolpern, und die Reaktionen improvisiert wirken. Eine Zukunft, wie sie „Tribes of Europa“ zeigt, ist erschreckend und erweckt den Wunsch, dass unsere Politik bei den grossen Herausforderungen wie Klimawandel oder Cybersecurity die Gesellschaft besser vorbereitet und sich vielleicht vorab noch mehr von Sachverständigen unterstützen lässt, die unabhängig vom kurzfristigen und tagesaktuellen Politikgeschehen sind.

Ihre Schwester Naika ist promovierte Politik- und Sozialwissenschaftlerin. Haben Sie sich mit ihr bezüglich der Serie ausgetauscht?

Foroutan: Meine Schwester arbeitet hauptsächlich zu Migration. Aber auch zu Zusammenleben in multidiversen Gesellschaften, was ein grosser Bereich der Serie ist. Ich habe mich aber mit ihr mehr über die Entwicklung der Frauenfigur ausgetauscht. Ich bespreche Rollen oft mit meiner Familie, für mich ist das wichtig, denn im Dialog kann ich sie besser weiterentwickeln.

Was hat Sie an der Rolle der postapokalyptischen Femme fatale und Antagonistin Varvara gereizt?

Foroutan: Ein Teil der Antwort steckt schon in der Frage. „Postapokalyptische Femme fatale“ ist keine Rollenbeschreibung, die ich oft lese, und Science-Fiction kein Genre, das wir in Deutschland häufig bedienen. Das war neu für mich und hat mich interessiert. Ausserdem ist die Figur auf unterschiedlichen Ebenen schauspielerisch reizvoll. Ich habe mich einerseits körperlich vorbereitet müssen, denn Varvara sollte sich in einem extrem gewalttätigen System glaubhaft behaupten können, mit Schwert und Dolch. Das Training dafür war nicht einfach und oft frustrierend, aber es führte zu einer mentalen Ausdauer, von der ich später sehr profitiert habe. Hinzu kam die Herausforderung, das Böse darzustellen, verführerisch und abstossend zugleich. Eine Aufgabe, der ich mit Respekt begegnet bin.

Gibt es auch einen Aspekt ihrer diabolischen Figur, mit dem Sie sich identifizieren können?

Foroutan: Varvara ist brutal, gewalttätig, sie hält sich Sklaven und demütigt Menschen aus Spass. So sehr mich diese Figur schauspielerisch interessiert hat, so sehr bin ich von ihr menschlich abgestossen.

(Mini-)Serien erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Was stellt für Sie als Schauspielerin den Reiz des Formats dar?

Foroutan: Die Zeit. Eine Geschichte und eine Figur über länger als das gängige Spielfilmformat von 90 Minuten denken und konzipieren zu dürfen, lässt im besten Fall mehr Raum für Komplexität und Charakterentwicklung zu.

Welche Annehmlichkeit unserer Zivilisation würden Sie in der Welt von „Tribes of Europa“ am meisten vermissen?

Foroutan: Demokratie.

Was für einem Tribe würde sich Melika Foroutan anschliessen und warum?

Foroutan: Ich bin sehr gespannt auf die Tribes, die uns im Falle einer Fortsetzung der Geschichte noch vorgestellt werden. Dann entscheide ich mich.

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