Vural Öger: Der tiefe Fall des türkischen Hanseaten

Amtlich gesehen ist alles vorbei. Der türkisch-deutsche Unternehmer Vural Öger hat Privatinsolvenz angemeldet. Damit findet eine der schillerndsten Wirtschaftskarrieren ein Ende.

Vural Öger (74) war einer der ganz Grossen in der Reisebranche. Kein Lautsprecher, dessen ruppige Manieren seinem knallharten Business entsprechen. Eher ein charismatischer Zampano mit eleganter Körpersprache und geschliffenem Umgangston. Das „Manager Magazin“ hat ihn einst so beschrieben: „Gut 1,90 Meter misst er, trägt stets feinste Garderobe, besticht mit festem Blick und einem subtilen Siegerlächeln.“ Sein Aufstieg hat romanhafte Züge.

Den „preussischen Türken“ hat man ihn genannt – und: „türkischer Hanseat“. Vural Öger hat über diese ziemlich plumpen Attribute mild doch eindeutig distanziert gelächelt. Er war nie dieser bitterarme Türke aus Anatolien, der mit einem Pappkoffer im Wirtschaftswunderland auftaucht und sich mühsam hocharbeitet.

Er kommt aus der türkischen Oberschicht. Der Vater war General aus Ankara, die Mutter entstammte dem Grossbürgertum von Istanbul. „Ich bin im kosmopolitischen Istanbul aufgewachsen“, hat Öger erklärt. „In meiner Schulklasse sind von 24 Kindern nur zehn oder elf Türken gewesen, die übrigen Griechen, Armenier, Bulgaren, Juden.“ Diese Welt, die der heutigen Abschottung der Türkei extrem entgegensteht, hat ihn geprägt.

Gegen den Willen des Vaters

Nach der Scheidung der Eltern und dem Abitur schickt ihn der strenge Vater zum Studium nach Deutschland. Öger schreibt sich 1961 an der Fakultät für Bergbau der Technischen Universität Berlin ein. Sieben Jahre später ist er Diplom-Ingenieur, den der strenge Vater zurück in die Heimat zitiert, damit er Karriere beim Staat macht. Doch Öger bleibt – und sagt später: „Ich habe mich immer gegen eine Einengung meines Horizonts gewehrt.“

Schon während des Studiums hat er als Dressman, Gerichtsdolmetscher und beim Reisedienst der Uni gejobbt. Das – und die elterliche Zuwendung – ermöglichen ihm einen gehobenen Lebensstil. Er fährt einen knallroten VW Karmann Ghia, ein Kultauto jener Jahre.

Schicksalhafte Demonstration

Die Revolte der Studenten und APO (ausserparlamentarische Opposition) faszinieren den jungen Mann. „Rudi Dutschkes kraftvolle Rhetorik habe ich damals sehr gern gehört“, erinnert er sich. Und plötzlich ist er mittendrin in den Tumulten. Er kommt mit Freunden von einem Ausflug an den Grundwaldsee zurück, als eine Demo die Heimfahrt stoppt. Da sieht er, wie mehrere Polizisten auf einen am Boden liegenden Demonstranten einprügeln.

„Ich konnte mich nicht beherrschen und rief: Hört auf! Der stirbt doch!“, erzählt Öger dem „Manager Magazin“. Bis ein Polizist ihn von hinten packt: Öger fliegt über eine Motorhaube auf dem Asphalt und schlägt mit dem Hinterkopf auf. 13 Tage liegt er auf der Intensivstation, nach sieben Wochen wird er entlassen. Er verklagt den Polizisten. Sein Anwalt, der junge Jurist und spätere Bundesinnenminister Otto Schily, erstreitet vor Gericht eine Bewährungsstrafe für den rabiaten Beamten. Öger und Schily sind mittlerweile Freunde.

Der Start ins Unternehmertum

Eine andere Geschichte erzählt Öger auch immer wieder gern. Sie wird zeitweilig zum Mythos. Öger ist Ende der 60er-Jahre in Hamburg. Unter seinem Karmann-Ghia entdeckt er eine Öllache. Seine Zigarette fällt runter, das Auto brennt aus – und mit ihm sein gesamter Besitz, das in dem Wagen verstaut war. Ohne einen Pfennig in der Tasche geht er in ein türkisches Restaurant und sieht dort ein Inserat für Flüge nach Istanbul. Flüge, die in Düsseldorf starten – und nur dort. Da entsteht in seinem Kopf die Geschäftsidee.

1969 eröffnet Öger in Hamburg ein Reisebüro. Er fliegt türkische Gastarbeiter in die Heimat. Später kommen Hotels und Pauschalreisen hinzu. Sein Unternehmen Öger Tours wird der grösste Reiseanbieter für die Türkei. Den deutschen Pass erhält er 1990. Ein „Deutscher mit türkischem Herzen“, so beschreibt er sich selbst.

Vural Öger – Der Star seiner Branche

Nach aussen gilt er als Lebemann. Er hat Geld und Geschmack, besitzt eine Immobilie auf Sylt, eine standesgemässe Jugendstilvilla im feinen Hamburger Stadtteil Othmarschen, ein Haus auf einer der Prinzeninseln vor Istanbul. Doch der Journalist Theo Sommer urteilt: „Er arbeitet viel zu viel, um ein wirklicher Lebemann zu sein.“ Auch der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der „Zeit“ ist mit Öger befreundet.

Vural Öger baut sein Geschäft immer mehr aus, er nimmt neue Ziele wie Ägypten oder die Dominikanische Republik ins Programm auf. Seine Devise: Reisen zu günstigen Preisen für jedermann.

Dann ein massiver Rückschlag, der ihn bundesweit bekannt macht. Am 7. Februar 1996 stürzt eine von Öger Tours gecharterte Boeing 757 mit 189 Insassen vor der Dominikanischen Republik ins Meer. Alle Passagiere sterben. Doch Ögers Unternehmen berappelt sich wieder. Mehr noch: Vural Öger wird der Star seiner Branche.

Höhenflug und Abstieg

2001 verleiht ihm der damalige Bundespräsident Johannes Rau das Bundesverdienstkreuz. 2004 zieht der Unternehmer für die SPD als Abgeordneter ins Europa-Parlament ein, seine Tochter Nina übernimmt die Geschäfte, die trotz vieler politischen Krisen boomen.

2010 bietet die Konkurrenz von Thomas Cook rund 30 Millionen Euro für sein Reise-Unternehmen. Öger schlägt ein, kann aber vom Geschäft nicht ganz die Finger lassen. Jetzt gehören ihm auch neun Hotels der Marke Majesty Hotels & Resorts (2000 Zimmer, 5000 Betten) – eine der grössten Hotelketten in der Türkei. Noch mehr Bekanntheit erlangt Öger als Juror und Investor in den ersten beiden Staffeln der VOX-Gründershow „Die Höhle der Löwen“.

Doch der Abstieg ist eingeläutet. Anfang Januar 2016 müssen die Öger-Unternehmen ihre Zahlungsunfähigkeit melden. „Bild“ schreibt: „Grund für die galoppierende Insolvenz: Der Syrien-Krieg und die Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. […] Zuletzt war die Nachfrage nach Reisen in die Türkei stark zurückgegangen, trotz besonders niedriger Preise!“ Knapp elf Monate später hat Vural Öger jetzt auch seine Privatinsolvenz angemeldet.

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