Marian Gold von Alphaville: «Auf der Bühne ist man eine Prostituierte»

Mit „Strange Attractor“ melden sich Alphaville nach sieben Jahren Abstinenz mit einem neuen Album zurück. Sänger und Band-Leader Marian Gold gibt im Interview Einblicke in den langwierigen Entstehungsprozess und erklärt, warum es sich wie ein halbes Comeback-Album anfühlt.

Die Synthie-Pop-Helden Alphaville melden sich nach sieben Jahren mit einem neuen Album zurück. „Strange Attractor“ wagt den Spagat zwischen alten Grosstaten und modernen Sounds. Warum sich das neue Album wie ein halbes Comeback anfühlt, verrät Band-Leader Marian Gold im Interview mit der SpotOn-Redaktion.

„Strange Attractor“ klingt erfrischend modern, zitiert aber auch die glorreichen 80er Jahre. War dieser Spagat ein formuliertes Ziel, bevor sie begonnen haben, neue Musik zu schreiben?

Marian Gold: Das hat sich mehr oder weniger ergeben. Ich wäre jetzt auch gar nicht in der Lage, das so genau zu definieren, wie Sie das eben gemacht haben. Ich gehe einfach mal davon aus, dass es so ist. Wir haben das Album in drei Anläufen über sieben Jahre hinweg produziert. Wir brauchen zwar immer relativ lange, aber das war jetzt selbst für uns eine verdammt lange Zeit. Von insgesamt 24 Stücken haben es aber dann letzten Endes die dunkleren und ein wenig düsteren Songs auf das Album geschafft.

Ihr langjähriger Keyboarder Martin Lister ist überraschend im Jahr 2014 verstorben. War das mit ein Grund für die lange Produktionszeit?

Gold: Das war ein sehr schlimmer Verlust für mich. Nicht nur musikalisch, sondern auch persönlich. Mit Martin habe ich mehr als 20 Jahre zusammengearbeitet. Er ist ein genialer Musiker und Komponist und ein wirklich freundlicher Mensch. Für mich ist der Gedanke, dass er nicht mehr da ist, nach wie vor schwer zu ertragen. Das hat eine sehr, sehr grosse Lücke in die Band gerissen. Ich habe auch erst gar nicht versucht, diese wieder zu füllen. Aber ich wollte, dass wir unseren Weg auch ohne Martin weitergehen, was sich mit den neuen Mitgliedern in der Band dann letzten Endes auch in der Produktion des Albums niedergeschlagen hat.

Ist das Album so dunkel geworden, weil Sie seinen Tod durch Ihre Musik verarbeiten?

Gold: Es passt zumindest zur Stimmung und zum Selbstverständnis der Band. Wir sind alle sehr glücklich mit dem Album und auch sehr glücklich, dass wir Martin so lange bei uns hatten. Das letzte Stück, das ich mit Martin geschrieben habe, „Beyond The Laughing Sky“, ist auch das letzte Stück auf dem Album. Verrückt, dass es dieser Titel geworden ist. Das ist quasi Martins Monument. Aber wir haben ihm kein Stück geschrieben. Das hätte ich als albern empfunden, weil so ein Verlust muss auf eine andere Art und Weise verarbeitet werden.

Setzen Sie sich mit aktuellen Pop-Künstlern auseinander oder schotten sie sich während dem Songwriting von der Aussenwelt ab?

Gold: Ich bin sehr interessiert an aktuellen Dingen. Vor allem an der Independent-Szene, denn dort entsteht permanent neue Musik. Dort eröffnen sich neue Möglichkeiten. Aber sobald ich ins Studio gehe, bin ich völlig unempfänglich gegenüber Ratschlägen oder Einflüssen von aussen. Das ist ein sehr introvertierter Prozess. Genau das Gegenteil von dem, was du machst, wenn du auf einer Bühne stehst. Wo man alles versucht, um die Menschen mitzureissen. Das sind diese zwei Polaritäten, zwischen denen man als Künstler oszilliert. Im Studio ist man eine Art Terrorist seiner Überzeugung und auf der Bühne eher eine Art Prostituierte.

Musiker suchen ja in gewisser Weise die Anerkennung und die Reaktionen der Fans.

Gold: Und das um jeden Preis! Wenn wir etwa die Stücke für die Live-Situation neu arrangieren, dann überlegen wir uns ganz genau, was funktionieren könnte und was nicht. Das künstlerisch Wertvolle ist mir live nicht so wichtig.

Sie sind jetzt schon über 30 Jahre im Musik-Geschäft unterwegs. Wie überlebt man in diesem schnelllebigen Geschäft?

Gold: Man braucht Talent und eine Menge Glück. Ohne Glück kommt man zu nichts. Die Tatsache, dass es uns so lange gibt, ist nur zum Teil auf unseren eigenen Mist gewachsen. Wir hatten das Glück, dass wir ein paar Welthits geschrieben haben. Allein dadurch hält man sich im Geschäft. Wenn man wie wir alle vier, fünf Jahre ein Album veröffentlicht, fühlt es sich jedes Mal an, wie ein halbes Comeback – das ist natürlich ein Nachteil. Aber gleichzeitig sind die Leute dann auch sehr interessiert.

Sie haben sieben Kinder. Spielen diese Instrumente oder wollen sie gar in die Fussstapfen ihres Vaters treten?

Gold: Nein. Zwei meiner Kinder spielten zwar Instrumente, aber das ist mehr ein Hobby. Das machen sie nicht, weil ihr Papa Musiker ist. Meine Kinder haben eigentlich gänzlich andere Interessen.

Was steht als nächstes im Hause Alphaville an?

Gold: Wir werden neben den Konzerten, die ohnehin schon gebucht sind, eine kleine Tour mit Schwerpunkt Deutschland spielen. Und, ganz gegen meine Gewohnheiten, schreiben wir auch schon Stücke für ein neues Album. Ich bin sehr optimistisch, dass wir Anfang 2018 bereits mit der Produktion fertig sein werden.

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