Thomas Kretschmann in „Ballon“: Eigentlich hoffte er auf eine Komödie

Thomas Kretschmann spielt in Bullys Flucht-Thriller „Ballon“ einen DDR-Ermittler. Was seine eigene Flucht aus der DDR für die Dreharbeiten bedeutet hat, erklärt er im Interview.

Schauspieler Thomas Kretschmann (56, „Victoria, die junge Königin“) spielt im Flucht-Thriller „Ballon“ (Kinostart: 27. September) von Michael „Bully“ Herbig (50) Oberstleutnant Seidel, einen knallharten DDR-Ermittler. Wie es überhaupt dazu kam, dass er nach etlichen internationalen Filmen und Serien mal wieder in seiner Heimat drehte, erklärt der gebürtige Dessauer, der 1983 selbst aus der DDR geflohen ist, im Interview.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Michael „Bully“ Herbig?

Thomas Kretschmann: Ich kenne Bully seit vielen Jahren und habe ihm gesagt, dass ich gerne mal mit ihm drehen würde, weil ich ihn wirklich toll finde. Eigentlich hatte ich dabei an eine Komödie gedacht, weil ich gern mal etwas Lustiges machen würde. Dann kam aber das Buch zu „Ballon“ und das las sich so gut, dass ich nicht lange überlegen musste.

Obwohl es Bullys erster Thriller ist?

Kretschmann: Ja. Dass das Genre Thriller Neuland für ihn ist, daraus hat er keinen Hehl gemacht. Beunruhigt hat es mich aber nicht. Denn ich bin ja selbst aus der DDR geflüchtet und daher bei diesem Thema mal wirklich Experte. Ich weiss genau, was stimmt und was nicht. Und schon im Buch hat alles gestimmt. Ich habe den Osten sofort wieder gerochen, diesen Druck – und meine Vergangenheit.

Wie war Bully am Set?

Kretschmann: Bully hat ein wahnsinniges Gespür für Timing und Feinheiten. Er ist sehr genau. Ich habe mich allerdings regelmässig darüber gewundert, woher ausgerechnet ein Bayer so ein gutes Gespür für das Thema hat? Alles in allem ist es einfach ein grossartiger Film geworden, Bully ist ein ganz grosser Regisseur.

Was halten Sie von Ihrer Rolle Oberstleutnant Seidel?

Kretschmann: Oberstleutnant Seidel ist der Spürhund und nicht auf den Kopf gefallen. Er verkörpert das System. Ich habe versucht, ihn relativ leise, dafür aber umso gefährlicher zu spielen. Solche Leute habe ich damals unter anderem in der Sportschule auch kennengelernt. Denen war man einfach ausgeliefert. Ihr einziger Anspruch war die Unterwerfung. Und wenn man das nicht konnte oder wollte oder nicht mitgemacht hat, dann ist man im Leben auch nicht sehr weit gekommen.

Sie haben das schon früh erkannt und sich für die Flucht entschieden…

Kretschmann: Erkannt haben es viele. Zu flüchten, war aber ein sehr grosses Risiko. Daher glaube ich, dass die meisten Menschen gegangen wären, wenn sie sich getraut hätten. Oder wenn es die Umstände erlaubt hätten. Was die beiden Familien in echt und in unserem Film gewagt und durchgezogen haben, war eine grosse Ausnahme. Mit den Kindern auf dieser Plattform über die Wolken zu steigen, würde ich mich allerdings nicht trauen.

Wie sind Sie geflohen?

Kretschmann: Ich bin von Ungarn nach Jugoslawien über die Grenze gerannt. Ich hatte es zwar geplant, aber niemandem etwas erzählt, auch meinen Eltern nicht. So richtig vorbereiten konnte ich mich allerdings nicht, denn es gab keine Infos und Erkundigungen einzuholen, wäre zu gefährlich gewesen. Daher bin ich so ein bisschen auf Verdacht ins Blaue marschiert. Ich wusste damals auch nicht, ob das gut gehen wird oder nicht.

Was ist für Sie, abgesehen von der historischen Perspektive, das Wichtigste an dem Film?

Kretschmann: Der Film erinnert daran, was Menschen auf sich nehmen, um „nur“ frei zu sein. Und daran, wie wichtig Menschlichkeit und Eigenverantwortung sind. Er ist aber auch ein Appell an den Willen und das Herz.

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