„Der Goldene Handschuh“: Das Böse ist die Abwesenheit des Guten

Wer ab dem 21. Februar in den „Goldenen Handschuh“ will, sollte einen starken Magen mitbringen. Denn statt Humor erwartet einen darin der Horror.

Der Kino-Donnerstag steht vor der Tür und für das erste Date will noch ein Film ausgewählt werden. Kleiner Tipp: Auf Fatih Akins (45) Streifen „Der Goldene Handschuh“, der am 21. Februar anläuft, sollte die Wahl tunlichst nicht fallen. Denn die Verfilmung von Heinz Strunks (56) gleichnamigen Bestseller ist zwar nicht schlecht. Kaum auszuhalten und qualvoll ist sie nichtsdestotrotz.

Der Mensch, der Malocher, der Mörder – und der Säufer

Kiez, 70er Jahre: Fritz Honka (Jonas Dassler) ist Mitte 30 und wie kaum ein anderer Mensch in diesem Alter vom Leben gezeichnet: krummer Rücken, krumme Zähne und eine noch krümmere Nase. Er schielt und trinkt stark, mehrere Flaschen Korn am Tag. Er lebt in einer versifften Dachgeschosswohnung eines besonders versifften Teils Hamburgs, in der es bestialisch stinkt – aus schrecklichem Grund, wie sich später herausstellen soll.

Was er seine Bezugspersonen nennt, sind nicht minder heruntergekommene Gestalten. Getroffen wird sich im „Goldenen Handschuh“, einer verruchten Kiez-Kneipe, um schliesslich wie jeden Abend im Promille-Delirium gemeinsam zu Heintje- und Freddy Quinn-Liedern zu heulen. So sieht er aus, der Alltag von Fritz Honka. Meinen zumindest seine Saufgefährten, die ein grosses Geheimnis des „kleinen, schiefen Mannes“, den sie „Fiete“ getauft haben, aber nicht kennen. Denn im Laufe seines kläglichen Lebens hat er vier Frauen auf grausame Weise ermordet und zum Teil in seiner mit Duftbäumen übersäten Wohnung versteckt.

Für wen ist der Film?

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Nicht geeignet ist er jedenfalls für Zartbesaitete, die anhand des Trailers noch nicht genug abgeschreckt wurden. Oder aber den Humor-Anteil höher eingeschätzt hätten. Denn die mitunter tragisch-komischen Gestalten, die einem darin präsentiert werden, wie Soldaten-Norbert oder Cola-Rum-Waltraud, sind in erster Linie tragisch und nicht komisch. Hier fängt der Film gekonnt die Stimmung ein, die schon das Buch auszeichnete: eine Mischung aus Abscheu und tiefstes Mitgefühl für den am Boden der Gesellschaft angekommenen Haufen verlorener Seelen. Im Fegefeuer des „Goldenen Handschuhs“ gefangen.

Apropos Hölle: die befindet sich nicht unweit der Kaschemme in einer zugemüllten Dachgeschosswohnung. Gleich die erste Einstellung des Films zeigt das Schlafzimmer der Butze, in das der Zuschauer durch die geöffnete Tür blickt. Auf dem Bett liegt eine halbnackte Frau, doch sie schläft nicht. Das wird spätestens klar, als Honka den Raum betritt und lange und unbeholfen versucht, sie in einen Müllsack zu stopfen. Als der erste Beseitigungsversuch scheitert, greift er zur Fuchsschwanz-Säge…

Zwischen „American Psycho“ und „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“

Um Leuten ein klein wenig die Angst zu nehmen, denen das Buch zugesagt hat, die aber das Gelesene nicht ungefiltert sehen wollen: Auch Akin hält nicht mit letzter Konsequenz drauf, wenn die grausamsten Momente anstehen. Jedoch zeigt er immer qualvoll und mitunter quälend lange, wie es zum finalen Streich kommt. Den Rest der Fantasie des Zuschauers zu überlassen, ist aber auch nicht schonender. Dafür sorgt die Geräuschkulisse, etwa bei einem perfiden Szenewechsel hin zu einem gekochten Tierschädel in Grossaufnahme. Dem wird gerade (und während Schreie von Honkas jüngstem Opfer zu hören sind) die Zunge herausgeschnitten. Dann ist Ruhe.

Das alles erinnert an Bret Easton Ellis‘ Buch „American Psycho“, das wegen seiner expliziten Gewaltdarstellung jahrelang auf dem Index stand. Der gleichnamige Film mit Christian Bale kam im Vergleich wesentlich handzahmer daher und verzichtete fast gänzlich auf die Schockwerte des Buchs. Akin hat sich bei „Der Goldene Handschuh“ für einen Mittelweg entschieden. Seine langen Einstellungen, etwa, wenn Honka eine gefühlte Ewigkeit versucht, eine ehemalige Prostituierte zu erwürgen, erinnern dagegen an die Regiearbeiten eines Steve McQueens („Hunger“). Und sind vergleichbar schwere Kost.

Böses gut gespielt

Dass „Der Goldene Handschuh“ so eindringlich ist, ist der schauspielerischen Leistung von Hauptdarsteller Jonas Dassler geschuldet. Beeindruckend, wie der 23-Jährige verunstaltet wurde, noch beeindruckender, wie er Honka mimt. Dassler spielt rigoros den gebrochenen, belächelten Buckligen, der in den eigenen vier Wänden all den angestauten Frust herauslässt – auf denkbar verkehrteste Weise. Ein fleischgewordener Minderwertigkeitskomplex, der es wohlwollend zur Kenntnis nimmt, als ihn eines seiner Opfer „Meister“ nennt. Ein Mann, dem in seinem Leben nie etwas Gutes widerfahren zu sein scheint. Und wie heisst es doch: Das Böse ist lediglich die Abwesenheit des Guten.

Die im Buch sehr präsente Milieu-Studie wurde allerdings weitestgehend geopfert, um das „Monster“ Honka zu zeigen. Dennoch ist auch er im Buch facettenreicher, seine tragische Kindheit (er und sein Vater waren im KZ) und viele andere Schicksalsschläge in seinem Leben werden im Film allenfalls angerissen. Dass Honka, der während seiner Taten zum Teil vier Promille intus hatte, ein Opfer seiner eigenen Alkoholsucht war, das zeigt der Film hingegen vorzüglich. Denn als er sich (nach einem weiteren Schicksalsschlag) kurzzeitig vom Alkohol abwendet, wird aus dem prügelnden Choleriker wieder der schüchterne, beinahe sympathische Fritz. Doch es bedarf nur eines einzigen Schluckes, ehe aus Dr. Fiete wieder Mr. Honka wird…

Fazit:

Nach „Der Goldene Handschuh“ will man keinen Schnaps mehr – aber braucht einen. „Sehenswert“ wäre das falsche Prädikat für Fatih Akins neuen Film, dafür ist das Gezeigte zu niederschmetternd. Auf Dasslers schauspielerische Leistung trifft es aber zu. Wer mit den dunkelsten, bestialischsten, aber auch traurigsten Bahnen konfrontiert werden will, auf die ein Leben geraten kann, der geht einmal mehr in den „Goldenen Handschuh“.

Vorheriger ArtikelLohnt sich das US-Remake von „Ziemlich beste Freunde“?
Nächster Artikel„Vice“: Der Teufel aus der zweiten Reihe