„Berlin Alexanderplatz“: Warum sich drei Stunden Kino lohnen

Der Roman „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin war 1929 ein grosser Erfolg. Die neue Verfilmung von Burhan Qurbani verpasst dem Stoff ein neues Gewand und ist ein Kino-Highlight des Corona-Sommers.

Im Wettbewerb der Berlinale 2020, elf Lola-Nominierungen und davon fünf gewonnen: „Berlin Alexanderplatz“ war schon vor dem Kinostart in aller Munde. Dann wurde es plötzlich ruhig. Das Coronavirus legte die Kinos lahm und machte den ursprünglichen Starttermin im Frühjahr zunichte. Dabei gab es schon überaus positive Kritiken und Rückmeldungen zum Film. Doch wie heisst es so schön? Das Warten lohnt sich. Die Zuschauer erwartet nun ab 16. Juli ein dreistündiges Film-Highlight des deutschen Corona-Sommers.

Auch ein Ende kann ein Anfang sein

Die Verfilmung des Romans „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin (1878-1957) beginnt mit einem Ende. Francis (Welket Bungué, 32) und seine Frau sind im Mittelmeer und kämpfen um ihr Leben. Sie schafft es nicht, er erwacht an einem endlosen Sandstrand und schwört sich, von nun an ein guter Mensch zu sein. Die Geschichte von 1929 wurde von Regisseur Burhan Qurbani (39) in die heutige Zeit übertragen. Aktueller könnte sie angesichts der immer wiederkehrenden Schreckensmeldungen aus dem Mittelmeer nicht sein.

In einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin angekommen, arbeitet Francis schwarz auf einer Baustelle. Erst durch die Begegnung mit dem zwielichtigen Reinhold (Albrecht Schuch, 34) glaubt er, endlich einen Freund gefunden zu haben. Doch Francis irrt sich. Denn seine Irrfahrt beginnt in dem Moment, als er Reinhold zum ersten Mal begegnet: Er wird zunächst als Koch für die Drogendealer im Volkspark eingespannt.

Egal, wie sehr sich Francis wehrt – alle Wege führen zurück in die stets offenen Arme des Kriminellen, der – wie sich zeigt – selbst nur Lakai des Gangsters Pums (Joachim Król, 63) ist. Pums ist im Vergleich zum schmierigen Reinhold ein Verbrecher alter Schule, der sich noch dem angestaubten Konzept eines Kodex‘ verpflichtet fühlt. Francis wird immer tiefer in den Sumpf gezogen und schliesslich von der Klubbesitzerin Eva (Annabelle Mandeng, 49) gerettet, die ihn beim jungen Escort-Girl Mieze (Jella Haase, 27) unterbringt. Eine schicksalhafte Begegnung.

Überragendes Schauspielensemble, federführend durch Albrecht Schuch

Doch Francis, der sich irgendwann lieber Franz nennt, kommt immer noch nicht von Reinhold los. Ist der undurchsichtige, cholerische Frauenhasser sein Untergang? Diese Frage drängt sich fast während des gesamten Films immer wieder auf. Man möchte Francis zuschreien, nicht wieder zu Reinhold zurückzugehen, aber die Gründe sind stets nachvollziehbar – auch wenn klar ist, dass es nicht gut gehen kann.

Albrecht Schuch verkörpert die Figur des Reinhold mit einer Brillanz, wie man sie selten sieht. Nur ganz wenige Einstellungen lassen noch Erinnerungen an den Schulbegleiter Micha aus „Systemsprenger“ (2019) aufkommen. Schuch ist in dieser Rolle nicht wiederzuerkennen und spielt den Kriminellen mit besorgniserregendem körperlichen Zustand zum Fürchten gut. Auch Welket Bungué, der in erster Linie in Portugal Karriere gemacht hat, überzeugt.

Regisseur Burhan Qurbani unterfüttert „Berlin Alexanderplatz“ immer wieder mit Zitaten aus dem titelgebenden Roman um den Protagonisten Franz Biberkopf, der letztlich das Grundgerüst der Geschichte ist – wenn auch in einer anderen Zeit. Diese geben, ob der Sprache seltsam entrückt, dem Streifen eine besondere Note. Der Zuschauer wird gewissermassen zum aufmerksamen Zuhören verdammt, was angesichts der Überlänge von 183 Minuten auch zwingend notwendig ist. Doch der Film hat glücklicherweise nur wenige Längen.

Zu den überzeugenden Schauspielern gehören auch Annabelle Mandeng und Nils Verkooijen (23), der ihre transsexuelle Partnerin Berta spielt. Ihre Sorge um den strauchelnden Francis wirkt angesichts der Schikanen, die Reinhold mit dem armen Geflüchteten treibt, glaubhaft. Joachim Króls Performance hingegen hat fast schon etwas Komödiantisches, da der altbackene Gangsterboss nicht so richtig in die moderne Welt passen will.

„Fack ju Göhte“-Star Jella Haase liefert, wenngleich am Ende nicht vollends überzeugend, eine solide Darbietung ab. Die Versuche der Edelprostituierten Mieze, Francis aus dem Dreck zu ziehen, fruchten meist nicht lange und auch einige ihrer Entscheidungen wirken konstruiert, sind aber wohl dem Roman geschuldet, dessen Ende schliesslich eingefangen werden muss.

Fazit

„Berlin Alexanderplatz“ ist schon allein wegen der Filmlänge eine Herausforderung für Kinogänger. Wer sich aber darauf einlässt, kommt in einen besonderen Filmgenuss auf der grossen Leinwand, der den Zuschauer fürs Erste nicht mehr loslässt. Auch wenn es immer wieder in der Seele schmerzt, dem Geschehen zu folgen, dieser Film ist eine echte Bereicherung.

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